Die Falsche Tote
gelegt hatte.
Kjell ignorierte den Argwohn, den Amelie seinem Computer entgegenbrachte. Schnell richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf Kjells Tonfall, der seit dem letzten Gespräch ein anderer war. Er erklärte ihr mit reichlicher Offenheit, worum es ihm überhaupt ging. Dabei zeigte er ihr die Bilder und hoffte, sie würde Lindas Stil nicht erkennen. Das war nicht der Fall, denn Amelie hatte keine Ahnung, dass sie alles Linda zu verdanken hatte. Die Überzeugungskraft seiner Rede lag vor allem darin, dass Amelie endlich verstand, von welchem Kaliber diese Geschichte hier war. Nachdem er die Lage erklärt hatte, ließ sie eine halbe Minute verstreichen, bevor sie etwas sagte.
»An der Sache ist nur ein Haken«, begann sie und deutete auf die Zeichnungen. »Ich kenne weder das Mädchen noch den Mann.«
»Ich bin mir aber sicher, dass du jemanden kennst, der uns weiterhelfen kann. Immerhin wäre es den Versuch wert. Welche Weltanschauung du auch immer hast, diese beiden hier sind Opfer eines grausamen Mordes.«
Amelie kniff die Augen zusammen. »Ich habe keine andere Weltanschauung, sondern so ziemlich die gleiche wie du. Mein Perspektive ist nur eine andere.«
Kjell schob ihr den Computer hin und legte den Speicherstift darauf. »Ich bitte dich, uns zu helfen. Danach kannst du von mir aus gehen.«
Amelie betrachtete ihn mit einigem Leiden um ihre Mundwinkel. Er hatte in seinem Prolog durchblitzen lassen, dass man über die Dimension der Schwesternschaft durchaus Bescheid wusste.
»Was ist mit Berne Ahnlund?«, wollte sie zu guter Letzt noch wissen.
»Wir gehen davon aus, dass dir nichts an ihm liegt. Ist das richtig?«
»Nur weil ich mich nicht in die Zwänge einer Partnerschaft begebe, bedeutet das nicht, dass mir Menschen nichts bedeuten.«
Auf dem Weg zum Aufzug erinnerte er sich, dass er genau diesen Satz vor zwanzig Jahren zu einigen Menschen gesagt hatte. Er drückte auf den Aufzugknopf, froh, dass er mit keinem von ihnen mehr Kontakt hatte.
Welcher Sterbliche kann entgehn listenreichem Göttertrug? Das war einer der Sprüche, die Sofi gerne rezitierte, seit ihr in München das kleine Buch in die Finger geraten war. Es war nach Mitternacht, und Kjell wusste, dass er endlich einmal wieder gut schlafen würde, denn jetzt konnte er nicht mehr tun, als warten.
51
Donnerstag, 9. August
Als Sofi nach langem Schlaf erwachte, sprang sie gleich auf und ging zur Balkontür, um in der frischen Luft das klebrige Gefühl loszuwerden, das sich in der schwülen Nacht über ihren Körper gelegt hatte. Draußen war es, als hätte es die Unterbrechung des Sommers nie gegeben. Der Himmel war blau, und die Luft duftete nach Maigras. Auf frischen Wind hatte sie vergeblich gehofft. Im Kühlschrank fand sie eine Tüte Dickmilch, die man noch trinken konnte. Sie duschte lange und kalt, bevor sie Kjell anrief.
»Der ist draußen und schwimmt«, berichtete Linda nach einem Blick aus dem Küchenfenster. »Soll ich dich runterwerfen?«
»Es eilt nicht. Aber sag ihm doch, dass ich jetzt losziehe und später im Büro bin.«
Sofi hängte ihre Tasche über die Schulter und verließ die Wohnung in der Tengdahlsgatan 18. Auf der Wiese sprangen Kinder umher. Die Mütter der Nachbarschaft hatten sich zum Kinderwagenkorso eingefunden. Sofi schlenderte die Straße hinauf zur Skånegatan. Beim Sofia-Kiosk kaufte sie drei Zeitungen und deckte sich mit Schokolade ein, denn Kjell hatte ihr prophezeit, dass der heutige Tag starke Nerven und Geduld von ihr verlangen würde.
Eine Stunde später trat sie mit ihrer neuen Sonnenbrille im Haar vor eine Gruppe von dreißig jungen Polizeianwärtern, die zur Sommervertretung an die Kriminalpolizei abkommandiert waren und wie eine brave Schulklasse in den Bänken des Schulungsraumes warteten. Es war elf Uhr. Jeder der dreißig Polizisten erhielt eine Mappe mit Kopien von Lindas Zeichnungen der beiden Toten und einem Foto von Josefin. Für jeden gab es zudem noch eine Fotokopie des Büchleins.
»Wir möchten zweierlei wissen«, erklärte Sofi. »Wurde eine dieser drei Personen in einem Geschäft gesehen? Das wäre für uns besonders wichtig. Zweitens möchten wir wissen, ob ein Geschäft dieses Buch geführt hat oder noch führt. Wann wurde es verkauft und an wen?«
Henning und Barbro hatten für jeden eine Route ausgearbeitet. Die Befragung reichte bis zu den kleinen Geschäften in den Vororten. Die Einweisung dauerte keine Viertelstunde. Nachdem die Polizisten ausgeschwärmt waren, setzte sich
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