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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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Unordnung, typische Spuren, dass sie von einem anderen durchwühlt worden wäre, gab es nicht. Bisher dachten wir an Profis. Es kann aber auch deine Schwester gewesen sein.«
    »Aber warum? Ich habe ja nichts, was sie brauchen könnte.«
    »Sie hat etwas bei dir gelassen, das ein anderer vor uns aus der Wohnung geholt hat.«
    Die beiden sahen Henning interessiert an. Bisher war es ihnen schwergefallen, sich in ihrer Aufgewühltheit auf Details einzulassen, aber nun war es spannend genug.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten«, fuhr Henning fort. »Daten oder eine Warnung.«
    »Warum denn eine Warnung?«, wendete Rosenfeldt ein. Henning nickte. Das erschien ihm auch unwahrscheinlich. Es mussten Daten gewesen sein, und vielleicht eine Bitte oder gar ein Auftrag. Obwohl er keine Indizien hatte, bekam er den Film nicht mehr aus seinem Kopf: Josefin hatte ihren Bruder aufgesucht. Von dort hatte sie ihren Weg die Götgatan entlang nach Süden fortgesetzt. Nur den Grund verstand er noch nicht.
    Henning bat Rosenfeldt, noch einmal zu erzählen, wie die letzten Tage in Frankreich gewesen waren.
    »Drei Tage vor ihrer Abreise hat sie mir erzählt, dass sie zurückwolle. Es sah alles danach aus, als hätte sie genug. Sie kannte ja jeden Ort in der Bretagne in- und auswendig. Sie war in Vannes, in Rennes und so weiter. Am Tag vor ihrer Abreise sind wir zum Mont Saint Michel gefahren. Morgens haben wir eine Wattwanderung gemacht, am Nachmittag gebadet und am Abend haben wir in Michel gegessen und waren recht lange oben auf der Kirchenterrasse. Sie hat wie immer gewirkt, ein wenig angespannt vielleicht.«
    »Wofür braucht sie hunderttausend Kronen? Was meint ihr?«
    Oskar lachte abfällig. Die Antwort kam vom Vater.
    »Josefin ist nach ihrer Oma Hedvig geraten. Beide sind am gleichen Tag im September geboren, daher lag es in unserer Familie immer nahe, darin eine Wesensgleichheit zu vermuten.«
    »Wenn im Lokal der Kellner an den Tisch kommt, fragt sie, was ein kleines Bier kostet«, erläuterte Oskar. »Also das Gegenteil von mondän.«
    »Hedvig?«
    »Nein, Josefin.«
    »Sie kam fast völlig ohne Geld aus«, erklärte der Vater. »In einer unfassbaren Genügsamkeit. Sie kauft nicht all die kleinen Sachen zwischendurch, die anderen Menschen das Geld durch die Finger rinnen lassen.«
    »Hm.« Henning fuhr sich ums Kinn. »Ganz sicher ist nicht, dass sie das Geld selbst abgeholt hat«, gab er zu. Aber ziemlich sicher, antwortete ihm sein Bauch.

50
    Linda hatte sich bei ihrer Arbeit an den Sechs-Bild-Blättern orientiert, die die Polizei verwendete. Auf einem Blatt sah man sechs Bilder des Toten, aufgenommen aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie hatte den Toten Leben in die Augen gelegt, wie Papa es von ihr verlangt hatte.
    »Das hätten wir vielleicht früher schon machen sollen«, fand Sofi, als sie die Bilder betrachtete und dann auf den Scanner legte. »Jetzt sehen Hesperia und Aisakos aus wie ein Paar.«
    Der Scanner summte. Sofi stellte sich ans Fenster. Weil die Fenster schmale Streifen waren, hatte man immer das Gefühl, aus einer Schießscharte zu blicken. Sofi liebte das Hinausblicken. Das Büro lag so hoch, dass man wie von einem Adlernest aus die Welt beobachten konnte. Nachdem der Scanner verstummt war, speicherte Sofi die Bilder auf einen Speicherstift.
    Kjell hatte sie noch nicht in seinen Plan eingeweiht. Er wollte alles vom Augenblick abhängig machen, wenn er den Verhörraum betreten würde.
    »Weißt du was, Papa?« Linda wippte auf seinem Stuhl vor und zurück und stieß sich dabei mit den Füßen von der Tischkante ab. »Ich weiß, wem die weiße Isetta gehört, die am Bergsunds Strand parkt.«
    »Die steht doch schon ewig da.«
    Linda nickte. »Einem alten Mann mit Schlapphut.«
     
    Mit Amelies Computer unter dem Arm und dem Speicherstift in der Hand machte sich Kjell allein auf den Weg zum Verhörraum. Die Originalbilder hatte er auch dabei. Als er eintrat, wusste er nicht genau, wie lange Amelie diesmal schon wartete. Er ließ die Tür offen stehen, was den Spiegeleffekt der Glaswand aufhob. Das sollte Vertrauen wecken. Er selbst vertraute auf seine Überzeugungskraft.
    Amelie zeigte erste Anzeichen seelischer Zermürbung. Ihr Haar hatte aufgehört, eine scharf begrenzte Fläche zu sein. An den Schläfen und über dem Ohr hatten sich Strähnen gelöst, was ihr den letzten Rest der Härte nahm. Die hatte aber vor allem durch die legere Kleidung gelitten, die ihr die Fügung für den heutigen Tag auf den Leib

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