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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Sinclair Befehl erhalten hatte, die Hinrichtung aufzuschieben. An diese Hoffnung klammerte sich der Abbé Joann, obwohl er nicht wußte, wie lange dieser Aufschub dauern und ob er hinreichen würde, die Entweichung des Gefangenen vorzubereiten, ja nicht einmal, ob der Major Sinclair ihm den Zutritt ins Gefängniß erlauben werde. Was sollte aber geschehen, wenn er nur dann die Herbeiholung eines Priesters zuließ, wenn Johann ohne Namen schon auf dem Wege zur Hinrichtung war?
    Man begreift leicht, welche Seelenangst der Abbé Joann gegenüber dieser Verurtheilung ausstehen mußte, da diese ihm keine Zeit zum Handeln mehr ließ.
    In diesem Augenblicke betrat ein Unterofficier den Posten und wandte sich an den jungen Priester:
    »Der Major Sinclair erwartet Sie!« sagte er.
    Vor ihm der Sergeant, dessen Fackel den Weg erleuchtete, überschritt Joann den inneren Hof, in dessen Mitte das Blockhaus sich erhob. Soweit es die Dunkelheit gestattete, sachte er die Größenverhältnisse dieses Hofes und die Entfernung zu erkennen, die den Wachtposten von dem Ausfallsthore trennte, da letzteres den einzigen Ausweg aus dem Fort Frontenac bot, wenn man es nicht vorzog, die Palissade zu überklettern. Wenn Johann die Anordnung der Baulichkeiten und die Lage dieser Punkte nicht kannte, so wollte Joann sie ihm doch wenigstens beschreiben können.
    Die Thür des Blockhauses stand offen. Der Sergeant voran und der Abbé Joann nach ihm durchschritten dieselbe. Eine Schildwache schloß sie wieder hinter ihnen. Dann betraten sie die Stufen einer nach dem oberen Stockwerk führenden und in die Wand selbst eingelassenen Treppe. Oben angelangt, öffnete der Sergeant eine gerade gegenüberliegende Thür, und der Abbé Joann trat in das Zimmer des Commandanten.
    Der Major Sinclair war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, von rauhem Aeußeren und schroffem Auftreten, »sehr englisch« durch seine Steifheit und »sehr sächsisch« durch das geringe Mitgefühl, welches menschliches Elend ihm einflößte. Vielleicht hätte er es sogar abgeschlagen, dem Verdammten geistlichen Zuspruch zu gewähren, wenn er in dieser Hinsicht nicht Befehle erhalten hätte, die er nicht wohl unbeachtet lassen konnte. Den Abbé Joann empfing er nicht eben vielverheißend; ja er erhob sich nicht einmal aus dem Lehnstuhle, in dem er saß, und legte die Pfeife nicht aus der Hand, deren Rauch das durch eine einzige Lampe nur schwach erhellte Zimmer erfüllte.
    »Sind Sie Geistlicher? fragte er den Abbé Joann, der einige Schritte vor ihm stehen geblieben war.
    – Ja, Herr Major.
    – Sie kommen, um dem Verurtheilten beizustehen?…
    – Wenn Sie das gestatten.
    – Woher kommen Sie?
    – Aus der Grafschaft Laprairie.
    – Dort haben Sie von seiner Gefangennahme gehört?…
    – Ja, eben dort.
    – Und auch von seiner Verurtheilung?…
    – Davon vernahm ich erst bei meiner Ankunft im Fort Frontenac, und ich glaubte, der Major Sinclair würde mir ein Zusammentreffen mit dem Gefangenen nicht verweigern.
    – Nein, das nicht; doch ich werde Sie erst rufen lassen, wenn es dazu Zeit ist, antwortete der Commandant.
    – Etwas ist niemals zu frühzeitig, erwiderte der Abbé Joann, wenn der Mensch zum Tode verdammt ist…
    – Ich sagte Ihnen, daß Sie rechtzeitig Nachricht erhalten werden. Warten Sie darauf im Dorfe Frontenac, wo einer meiner Soldaten Sie dann aufsuchen wird…
    – Verzeihen Sie, wenn ich noch auf meiner Bitte bestehe, Herr Major, entgegnete der Abbé Joann. Es kann ja der Fall eintreten, daß ich gerade in dem Augenblick abwesend wäre, wo der Gefangene meinen Beistand am meisten bedarf. Gestatten Sie mir also, denselben in dieser Stunde zu sprechen…
    – Ich wiederhole Ihnen, daß ich Ihnen werde eine Meldung zugehen lassen, unterbrach ihn der Commandant. Mir ist verboten, den Gefangenen vor der Stunde seiner Hinrichtung mit irgend Jemand, wer es auch sei, sprechen zu lassen. Ich erwarte jetzt nähere Befehle von Quebec, und wenn diese anlangen, hat der Gefangene noch zwei Stunden für sich. Was Teufel, diese zwei Stunden werden Ihnen genügen, und Sie mögen diese anwenden, wie es Ihnen für das Heil seiner Seele passend erscheint. Der Sergeant wird Sie nach dem Thore zurückgeleiten!«
     

    Die Witterung war schrecklich. (S. 223.)
     
    Dieser nicht mißzuverstehenden Erklärung gegenüber blieb dem Abbé Joann nichts übrig, als sich zurückzuziehen. Trotzdem konnte er sich dazu nicht entschließen. Sah er seinen Bruder nicht, konnte er sich nicht

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