Die Familie ohne Namen
Gemäuer. (S. 317.)
Als der Major Sinclair noch zum letzten Male eine Frage nach seiner Herkunft, nach der Familie, der er entstammte, an ihn richtete, begnügte er sich zu antworten:
»Ich bin Johann ohne Namen, von Geburt französischer Canadier, und das muß Ihnen genug sein. Was kommt es denn viel darauf an, wer der Mann ist, der unter den Kugeln Ihrer Söldner fallen soll? Brauchen Sie denn einen Namen für einen Leichnam?«
Johann wurde gefangen genommen. (S. 318.)
Johann wurde zum Tode verurtheilt, und der Major Sinclair gab Befehl, ihn in seine Zelle zurückzuführen. Um auch den Vorschriften des General-Gouverneurs Genüge zu leisten, sandte er noch einen besonderen Boten nach Quebec, um jenen zu benachrichtigen, daß das Civilverhältniß des Gefangenen von Frontenac nicht habe aufgeklärt werden können. Dabei fragte er an, ob er die Execution vollziehen lassen oder noch aufschieben solle.
Seit fast zwei Wochen schon sachte sich Lord Gosford so genau wie möglich über die Vorgänge bezüglich der Aufstandsversuche in St. Denis und St. Charles zu unterrichten und die Aburtheilungen zu beschleunigen. Fünfundvierzig der hervorragendsten Patrioten schmachteten in den Gefängnissen zu Montreal und elf in dem zu Quebec; der Gerichtshof mit seinen drei Richtern, dem General-Procurator und dem Staatsanwalt als Vertreter der Krone, sollte in Thätigkeit treten. Neben diesem Tribunal functionirte noch das Kriegsgericht unter dem Vorsitze eines General-Majors und bestand aus fünfzehn höheren englischen Officieren, welche bei der Unterdrückung des Aufstandes mitgewirkt hatten.
In Erwartung eines Urtheils, welches gewiß auf die härtesten Strafen hinauslief, sahen sich die Gefangenen einer Behandlung ausgesetzt, deren Grausamkeit durch keine politische Leidenschaft entschuldigt werden kann.
In Montreal im Gefängnisse der Pointe-à-Callières, in dem alten Kerker am Jacques Cartier-Platze, im neuen Gefängniß am Fuße des Courant, waren Hunderte von armen Leuten zusammengepfercht, welche furchtbar von der Kälte des canadischen Winters zu leiden hatten. Dazu wurden sie von Hunger zernagt, denn die Brotration, welche sie als einzige Nahrung empfingen, war völlig unzureichend.
Wohl flehten sie wenigstens um eine Untersuchung, um eine Verurtheilung, so hart diese auch ausfallen möchte. Ehe er sie aber dem ordentlichen oder dem Kriegsgerichte zuführte, wollte Lord Gosford warten, bis die Polizei ihre Nachforschungen beendigt hätte, damit dann alle Patrioten, deren sie hatte habhaft werden können, in seinen Händen wären.
Unser diesen Verhältnissen gelangte die Nachricht von der Gefangennahme Johanns ohne Namen und von der Einlieferung desselben in das Fort Frontenac nach Quebec. Die allgemeine Meinung ging dahin, daß die Sache der Unabhängigkeit damit den Todesstoß erhalten habe.
Es war um neun Uhr Abends, als der Abbé Joann und Lionel am 12. December vor jenem Fort eintrafen. So wie Johann es gethan, waren sie erst dem rechten Ufer des St. Lorenzo gefolgt und hatten diesen dann überschritten auf die Gefahr hin, bei jedem Schritte, den sie thaten, verhaftet zu werden. War auch Lionel durch sein Auftreten in Chipogan nicht eigentlich bedroht, so suchten die Agenten Gilbert Argall’s doch den Abbé Joann jetzt desto eifriger. Jene Beiden mußten also gewisse Vorsichtsmaßregeln beobachten, welche ihr Fortkommen natürlich verlangsamten.
Dazu herrschte eine wahrhaft schreckliche Witterung. Seit vierundzwanzig Stunden tobte einer jener furchtbaren Schneestürme, welche die Meteorologen des Landes mit dem Namen »Blizzard« zu bezeichnen pflegen. Zuweilen bringt das Auftreten eines solchen einen Wärmesturz von dreißig Graden, das heißt eine solche Kälte hervor, daß dadurch zahlreiche Opfer verschlungen werden. 1
Was hoffte denn der Abbé Joann davon, daß er selbst nach dem Fort Frontenac ging? Welchen Plan hatte er entworfen? Gab es für ihn ein Mittel, sich mit dem Gefangenen in Verbindung zu setzen? Wäre es möglich, nach vorheriger Verabredung dessen Entweichung zu begünstigen? – Jedenfalls kam es ihm darauf an, noch diesen Abend in die Zelle des Bruders Einlaß zu erhalten.
Wie der Abbé Joann war auch Lionel bereit, sein Leben hinzugeben, um das Johanns ohne Namen zu retten. Doch wie sollten Beide zu Werke gehen? Sie waren jetzt bis auf eine halbe Meile an das Fort Frontenac herangekommen, das sie hatten umgehen müssen, um einen Wald zu erreichen, dessen Saum sich in
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