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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sich leise die Thür.
    Die beiden Brüder waren allein, der eine schlummernd, der andere auf den Knien liegend und betend.
    Dann erhob sich Joann, betrachtete noch zum letzten Male dieses sein Ebenbild, dessen Leben ebensogut wie das seinige das Verbrechen des eigenen Vaters zu einer Kette von Elend und Trauer gemacht hatte.
    Dann murmelte er die Worte.
    »Herr, Herr mein Gott, steh’ mir bei!«
    Die Zeit war ihm viel zu knapp zugemessen, um sie, und wäre es nur wenige Minuten, vergeuden zu dürfen. So legte er die Hand auf die Schulter Johanns. Dieser erwachte, öffnete die Augen, richtete sich auf und rief, als er seinen Bruder erkannte:
    »Du, Joann!…
    – Leiser, Johann, sprich leiser! antwortete Joann; man könnte uns hören!«
    Mit der Hand machte er ihm gleichzeitig ein Zeichen, daß die Thür von außen überwacht werde.
    Abwechselnd näherten und entfernten sich im Vorgange die Schritte des Sergeanten.
    Halb mit großer Wollendecke bekleidet, die ihn nur sehr nothdürftig gegen die Kälte schützte, erhob sich Johann jetzt geräuschlos.
    Die beiden Brüder lagen in langer Umarmung.
    Dann sagte Johann:
    »Unsere Mutter?
    – Ist nicht mehr im geschlossenen Hause!
    – Sie ist nicht mehr da?…
    – Nein!
    – Und Herr de Vaudreuil nebst seiner Tochter, denen unser Haus Obdach geboten hatte?
    – Das Haus stand völlig leer, als ich zum letzten Male nach St. Charles kam!
    – Wann war das?
    – Vor acht Tagen.
    – Und seitdem weißt Du nichts von unserer Mutter, von unseren Freunden?
    – Gar nichts!«
    Was mochte denn geschehen sein? Hatte eine wiederholte Haussuchung doch zur Verhaftung Bridgets, des Herrn de Vaudreuil und seiner Tochter geführt? Oder hatte Clary, welche ihren Vater vielleicht nicht einen Tag länger unter dem Dache der Familie Morgaz lassen wollte, diesen trotz seiner Schwäche, trotz der Gefahren, die sie bedrohten, veranlaßt, von dort wegzugehen? War Bridget wohl auch selbst aus St. Charles entflohen, wo die Schande, die auf ihrem Namen lastete, jetzt bekannt geworden war?
    Alles das ging Johann gleich einem Blitze durch den Kopf, und er wollte den Abbé Joann schon von den Vorfällen erzählen, die sich gelegentlich seines letzten Besuches im geschlossenen Hause zugetragen hatten, als dieser sich an sein Ohr neigend sagte:
    »Höre mich an, Johann. Nicht als Bruder bin ich hier bei Dir, sondern nur als Priester, der seines Amtes bei einem Verurtheilten walten will. Nur unter dieser Bedingung hat mir der Commandant des Forts Zutritt in Deine Zelle gestattet. Wir haben keinen Augenblick zu verlieren… Du mußt auf der Stelle fliehen!…
    – Auf der Stelle, Joann? Aber wie?
    – Du legst meine Kleidung an und gehst in der Priestertracht hinaus. Wir sind einander ähnlich genug, als daß Jemand diese Verwechslung bemerken könnte. Uebrigens ist es ja Nacht, und Du wirst beim Ueberschreiten des Ganges und des innern Hofes schwerlich von einer Fackel so deutlich beleuchtet werden. Verbirgst Du das Gesicht ein wenig unter diesem Hute, so ist es unmöglich, daß Dich Jemand erkennt. Wenn wir die Kleidung gewechselt haben, halte ich mich ein wenig im Hintergrunde der Zelle und rufe nach dem Sergeanten. Dieser wird, wie verabredet, öffnen. Er hat Befehl, mich nach dem Ausfallsthore zu begleiten… Nun führt er eben Dich dorthin…
    – Joann, erwiderte der Gefangene, hast Du wirklich glauben können, daß ich ein solches Opfer Deinerseits annehmen würde?
    – Du mußt, Johann! Deine Anwesenheit bei den Patrioten ist jetzt mehr als je von Nöthen.
    – Haben sie denn nach der erlittenen schweren Niederlage noch nicht an dem Erfolge unserer nationalen Sache verzweifelt?
    – Nein! Sie sammeln sich eben am Niagara, auf der Insel Navy, und rüsten sich, den Kampf von neuem zu beginnen.
    – So mögen sie es ohne mich thun, lieber Bruder! Der Erfolg unserer Sache hängt nicht von einem einzelnen Manne ab!… Ich werde Dich nicht das Leben daran wagen lassen, um das meinige zu retten!
    – Ist’s denn nicht meine Pflicht, Johann?… Du kennst doch unser Ziel?… Haben wir das schon erreicht?… Nein! Wir haben noch nicht einmal sterben können, um den Schaden wieder gut zu machen, den…«
    Die Worte Joanns gingen seinem Bruder tief zu Herzen, er ergab sich aber deshalb noch nicht.
    Joann fuhr fort:
    »Bitte, höre auf mich!… Sieh, Du fürchtest für mich, Johann; doch, was habe ich eigentlich zu fürchten? Was kann mir geschehen, wenn man mich morgen in dieser Zelle findet? Nichts!… Es

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