Die Familie ohne Namen
die eigenthümlichsten Bilder der ganzen Provinz Canada, und darunter die prächtige Bai Ha-ha – eine onomatopoetische Bezeichnung, welche die Bewunderung der Lustreisenden für dieselbe erfand. Der »Champlain« erreichte Chicoutimi, wo Johann sich mit den Mitgliedern des Reformer-Comités in Verbindung setzen konnte, und am nächsten Tage schlug er, die nächtliche Fluth benutzend, wieder die Richtung nach Quebec ein.
Inzwischen vergaßen Pierre Harcher und seine Brüder keinen Augenblick, daß sie von Beruf Fischer waren. Jeden Abend legten sie ihre Netze und Leinen aus. Zeitig des Morgens liefen sie dann die zahlreichen Dörfer an beiden Ufern an. So besuchten sie an dem fast wild erscheinenden Nordufer, das sich längs der Grafschaft Charlevoix von Tadoussac bis zur Bai St. Paul ausdehnt, Maibaie, St. Irénée und Notre-Dame-des-Eboulements, dessen bezeichnender Name durch seine Lage inmitten chaotischen Felsgewirrs gerechtfertigt wird. Weiter konnte Johann an den Küsten von Beauport und Beaupré für seine Sache wirken, wobei er zuerst bei Chateau Richer und dann an der Insel Orleans stromabwärts von Quebec aus Land ging.
Am südlichen Ufer hielt der »Champlain« unter Anderem bei St. Michel an der Levisspitze. Hier galt es einigermaßen vorsichtig zu sein, denn gerade dieser Theil des Flusses wurde scharf überwacht. Vielleicht wäre es rathsam gewesen, bei Quebec gar nicht anzulegen, wo der Kutter am Abend des 22. September eintraf. Johann hatte aber hier ein Stelldichein mit dem Advocaten Sebastian Grammont, einem der entschiedensten Abgeordneten der canadischen Opposition, verabredet.
Da es ganz finster war, schlich sich Johann nach dem oberen Theil der Stadt, wo er in der Straße Petit Champlain das Haus Simon Grammont’s erreichte.
Die Beziehung zwischen dem Advocaten und Johann bestand schon mehrere Jahre. Sebastian Grammont, jetzt sechsunddreißig Jahre alt, hatte sich an allen politischen Kundgebungen der letzten Jahre betheiligt – vorzüglich 1835, wo er kühn mit seiner Person eingetreten war. Von daher schrieb sich seine enge Verbindung mit Johann ohne Namen, der ihm übrigens nichts über seine Herkunft und seine Familie gesagt hatte. Sebastian Grammont wußte nur das Eine, daß der junge Patriot, wenn die Stunde gekommen war, sich an die Spitze des Aufstandes setzen werde. Jetzt, wo er diesen seit dem mißlungenen Versuch von 1835 noch nicht wieder gesehen, erwartete er ihn mit lebhafter Ungeduld.
Als Johann eintrat, ward ihm der herzlichste Empfang zutheil.
»Ich kann Ihnen nur wenig Stunden widmen, begann er.
– Nun wohl, antwortete der Advocat, so wollen wir sie verwenden, von der Vergangenheit und von der Gegenwart zu sprechen.
– Von der Vergangenheit… nein! erwiderte Johann. Von der Gegenwart… von der Zukunft… vor Allem von der Zukunft.«
Seit seinem Bekanntwerden mit ihm fühlte Sebastian Grammont heraus, daß Johann im früheren Leben von einem bedrückenden Leide heimgesucht worden sein müsse, dessen Ursache er nicht zu errathen vermochte. Selbst ihm gegenüber bewahrte Johann stets eine so scheue Zurückhaltung, daß er es vermied, seine Hand selbst darzubieten. Sebastian Grammont unterließ es auch, weiter in ihn zu dringen. Wenn es seinem Freunde sonst passend erschien, seine Geheimnisse zu entschleiern, würde er bereit sein, ihn zu hören.
Während der wenigen Stunden ihres Beisammenseins sprachen sie Beide über die politische Lage. Einerseits unterrichtete der Advocat Johann über die Stimmung im Parlamente; andererseits klärte Johann wieder Sebastian Grammont bezüglich der Maßregeln auf, welche in Erwartung einer bevorstehenden Erhebung schon getroffen waren, und vorzüglich über die Bildung einer Art Central-Comités in der Villa Montcalm, sowie über die Erfolge seiner Fahrt durch Ober-und Unter-Canada. Zur Vollendung der letzteren hatte er jetzt nur noch den Bezirk von Montreal zu bereisen.
Der Advocat lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit und sah eine gute Vorbedeutung in dem Fortschritte, welchen die nationale Sache binnen wenigen Wochen gemacht hatte. Gab es doch keinen Flecken, kein Dorf mehr, wo nicht Geld zum Ankauf von Waffen und Munition vertheilt worden wäre und das nicht mit Ungeduld auf das Zeichen zum Losschlagen geharrt hätte.
Johann erfuhr hier auch von den letzten, seitens der Behörde in Quebec beliebten Maßnahmen.
»Zunächst, lieber Johann, sagte Sebastian Grammont, hier ging das Gerücht, daß Sie vor etwa einem Monat
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