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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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plötzlich inmitten der Wiesen, durch die er sonst gelaufen, wenn er nach der Fähre im St. Lorenzo wollte. Es war kein Fremdling, der über diesen Boden schritt, sondern ein Kind des Landes. Er überlegte auch gar nicht, einzelne durchwatbare Stellen zu benutzen, Querpfade einzuschlagen und Winkel abzuschneiden, wodurch er seinen Weg abkürzte. Auch in Chambly selbst konnte er nicht zweifelhaft sein, den kleinen Platz wieder zu erkennen, wo sein Vaterhaus gestanden, wie die enge Straße, durch welche er meist in dasselbe gelangt, die Kirche, in die seine Mutter ihn damals führte, die Schule, in der er den ersten Unterricht empfangen, ehe er seine Studien in Montreal fortsetzte.
    Johann wollte also jene Oertlichkeiten wieder sehen, von denen er sich schon so lange Zeit entfernt hatte. Im Augenblicke, wo er bald sein Leben für den letzten Kampf in die Schanze schlagen wollte, trieb ihn noch ein unwiderstehlicher Wunsch, dahin zurückzukehren, wo dieses für ihn elende Dasein seinen Anfang genommen hatte. Es war nicht Johann ohne Namen, der sich hier den Reformern der Grafschaft vorstellte, es war vielmehr das Kind, welches vielleicht zum letzten Male nach dem Dorfe seiner Geburt heimkehrte.
    Johann ging raschen Schrittes dahin, um vor dem Dunkelwerden in Chambly zu sein und dieses vor Anbruch des Tages wieder verlassen zu können. In peinigende Erinnerungen versanken, sahen seine Augen nichts von dem, was früher seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Nicht die Heerden Elennthiere, welche im Gehölz weilten, noch die Tausende von Vögeln, die zwischen den Bäumen umherflatterten, oder das Wild, das durch die Furchen dahinlief.
    Einige Leute waren noch mit Feldarbeiten beschäftigt. Er wandte sich ab, um nicht ihren herzlichen Gruß erwidern zu müssen, da er unbemerkt durch die Felder zu gehen und nach Chambly zu kommen wünschte, ohne gesehen worden zu sein.
    Es war sieben Uhr Abends, als der Kirchthurm des Orts über den Baumkronen sichtbar wurde. Noch eine halbe Lieue und er war zur Stelle. Das durch den Abendwind bis zu ihm getragene Läuten der Glocke veranlaßte ihn zu den Worten:
    »Ja, ich bin es!… Ich, der noch einmal inmitten von dem Allen zu athmen wünschte, was er ehedem so sehr geliebt hatte!… Ich kehre zum Neste zurück! Ich wandre wieder zu meiner Wiege!…«
    Er schwieg, oder gab sich vielmehr selbst Antwort, indem er mit bebender Stimme fragte:
    »Was soll ich denn hier beginnen?«
    Das unterbrochene Anschlagen der Glocke belehrte ihn inzwischen, daß es nicht der Angelus (Abendsegen) war, der in diesem Augenblicke ertönte, doch wußte er sich nicht zu deuten, zu welcher Andacht sie die Gläubigen von Chambly in so später Stunde riefe.
    »Desto besser, sprach er für sich selbst, so werden die Leute in der Kirche sein und ich brauche nicht an offenen Thüren vorüberzugehen. Niemand wird mich sehen, Niemand anreden; und da ich nicht nöthig habe, irgendwen um Gastfreundschaft zu bitten, so wird kein Mensch wissen, daß ich gekommen bin…«
    Während er sich das sagte und den Weg fortsetzte, wandelte ihn doch wiederholt das Verlangen an, lieber umzukehren. Doch nein, eine unwiderstehliche Kraft trieb ihn vorwärts.
    Je mehr er sich nun Chambly näherte, desto vorsichtiger und aufmerksamer blickte Johann um sich. Trotz mancher, im Laufe von zwölf Jahren ja unausbleiblichen Veränderungen erkannte er doch die Häuser, die Umzäunungen und die am Außenrande des Fleckens gelegenen Pachthöfe wieder.
    Nach Erreichung der Hauptstraße glitt er längs der Häuser hin, deren Aussehen so vollständig französisch war, daß er sich in die Mitte einer Landvogtei im 17. Jahrhundert hätte zurückversetzt glauben können. Hier wohnte ein Freund seiner Familie, bei dem Johann früher oft einige Tage seiner Ferien zugebracht, dort wieder der Pfarrer des Kirchspiels, der ihm die ersten Stunden ertheilt hatte. Ob diese guten Leute wohl noch lebten?… Weiter erhob sich ihm zur Rechten ein hohes Bauwerk. Das war die Schule, in die er sich jeden Morgen begeben und welche einige hundert Schritte weit, nach einem höheren Theile von Chambly zu, lag.
    Diese Straße mündete auf dem Platze der Kirche. Sein Vaterhaus befand sich links an demselben an einer Ecke, und die Rückseite desselben lag nach einem großen Garten zu, der wiederum mit dem rings um den Flecken aufstrebenden Wald zusammenhing.
    Die Nacht war sehr dunkel. Die halb offene Hauptpforte der Kirche ließ in deren Innerem eine mattbeleuchtete

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