Die Familie ohne Namen
sich ihm nur zu nähern, daß nicht einer der Bewohner von Chambly denselben erblickte, ohne einen Fluch darauf zu schleudern! Ja, zwölf volle Jahre waren dahingegangen, doch nichts hatte, weder in diesem Flecken, noch sonst wo in den canadischen Provinzen, das Entsetzen zu lindern vermocht, das der Name Simon Morgaz einflößte.
Johann hatte die Augen gesenkt und seine Hände zitterten; er fühlte, daß ihm schwindlich wurde. Ohne die herrschende Dunkelheit hätte der alte Mann die Schamröthe sehen müssen, die ihm ins Gesicht gestiegen war.
Dieser fuhr fort:
»Sie sind selbst Canadier?…
– Ja, bestätigte Johann.
– Dann müssen Sie doch auch jenes von Simon Morgaz begangene Verbrechen kennen?
– Wer in Canada kennt dasselbe nicht?
– Gewiß. Niemand, mein Herr! Sie wohnen wahrscheinlich in den östlichen Grafschaften?
– Ja… im Osten… in Neu-Braunschweig.
– O, das ist weit, freilich sehr weit! Da wußten Sie es wohl gar nicht, daß dieses Haus zerstört worden war?…
– Nein!… Ohne Zweifel durch einen Unfall?…
– Das nicht, lieber Herr. Das nicht! entgegnete der alte Mann. Vielleicht wär’s besser gewesen, wenn das himmlische Feuer es vernichtet hätte; und gewiß, das wäre auch den einen oder den anderen Tag geschehen, denn Gott ist immer gerecht. Man griff aber seiner Vergeltung vor! Schon am nächsten Tage, nachdem Simon Morgaz mit seiner Familie von Chambly verjagt worden war, stürzten sich die Leute wüthend auf diese Wohnung und setzten sie in Brand…. Nachher aber, um die Erinnerung an das Vorgefallene niemals erbleichen zu lassen, beschloß man, die Ruinen in demselben Zustande zu belassen, wie Sie dieselben jetzt sehen. Es wurde verboten, sich denselben zu nähern, und gewiß mochte sich Keiner mit dem Staube dieses Hauses entehren!«
Unbeweglich hörte Johann dem Allen zu. Die Lebhaftigkeit, mit der der wackere Mann sprach, bewies, daß der Abscheu vor Allem, was Simon Morgaz gehört hatte, noch heute in voller Stärke lebte. Wo Johann die Erinnerungsmale an seine Familie aufsuchen wollte, da fand er nur das Andenken an ihre Schande!
Inzwischen hatte sich der Andere, während er plauderte, ein wenig von der in die Acht erklärten Stelle entfernt und nach der Kirche zu gewendet. Die Glocke ließ ihre letzten Schläge durch die Luft ertönen. Der Gottesdienst sollte seinen Anfang nehmen.
»He, wiederholte der alte Mann, sind Sie etwa taub?« (S. 134.)
Schon hörte man einzelne Gesänge, welche von längeren Zwischenräumen unterbrochen wurden.
Da sagte der alte Mann:
»Jetzt, lieber Herr, muß ich Sie verlassen, wenn Sie mich nicht etwa in die Kirche begleiten wollen. Sie würden dort eine Predigt hören, die im ganzen Kirchspiele großes Aufsehen machen dürfte…
»In’s Feuer mit dem Verräther!… In’s Feuer mit Simon Morgaz!« (S. 141.)
– Ich kann nicht, erwiederte Johann; noch vor Tagesanbruch muß ich in Laprairie zurück sein…
– Dann haben Sie keine Zeit zu verlieren, lieber Herr. Na, jedenfalls sind die Wege sicher. Seit einiger Zeit durchstreifen Polizeibeamte die Grafschaft Montreal und suchen nach Johann ohne Namen, den sie, wenn Gott unserm Lande noch gnädig ist, nicht finden werden!… Man rechnet auf diesen jungen Helden, lieber Herr, und hat damit gewiß auch Recht. Wenn ich glauben darf, was mir zu Ohren gekommen ist, so würde er hier nur muthige Männer finden, die alle bereit sind, ihm zu folgen!…
– Wie in der ganzen Grafschaft, antwortete Johann.
– Eher noch mehr, lieber Herr! Haben wir nicht die Schande abzuwaschen, einen Simon Morgaz zum Mitbewohner unseres Ortes gehabt zu haben?«
Der alte Mann liebte es offenbar, ein wenig zu plaudern; endlich nahm er aber doch, Johann gute Nacht wünschend, Abschied. Da hielt ihn dieser mit den Worten zurück:
»Ihr habt die Familie jenes Simon Morgaz jedenfalls gekannt, guter Freund?
– Natürlich, Herr, und wie gut! Ich bin jetzt siebzig Jahre alt und zählte achtundfünfzig zur Zeit jenes abscheulichen Verbrechens. Ich habe dieses Land bewohnt, das auch seine Heimat war, doch nie, niemals würde ich geglaubt haben, daß sich Simon zu so etwas bereit finden ließe…. Was mag wohl aus ihm geworden sein?… Ich weiß es nicht!… Vielleicht ist er todt… vielleicht in die Fremde gegangen, wo er unter falschem Namen lebt, damit man ihm den seinen nicht ins Gesicht schleudern kann? Doch, seine Frau, seine Kinder!… Ach, wie beklage ich diese Unglücklichen!
Weitere Kostenlose Bücher