Die Familie: Roman (German Edition)
Abenddämmerung verblasste ein paar Meter unterhalb der Oberfläche, und sie sah nur das aufwärtskriechende Seil.
»Yeeyahhh! Nein! O Gott!«
Darcy stockte der Atem.
Das Seil ruckte, bebte, schwang.
» GREG! «, schrie sie. Darcy warf die Decke ab und sprang. Sie erwischte das aufsteigende Seil, klammerte sich mit den Beinen daran und wollte hinunterrutschen. Das Seil brannte wie Feuer an ihrer zerstochenen Hand und dem aufgerissenen Oberschenkel.
»Scheiße!«, brüllte der Feuerwehrmann und packte sie. Er zerrte sie vom Seil, zog sie vom Schacht weg und umklammerte sie von hinten, während sie versuchte, sich zu befreien. »Beruhigen Sie sich«, grunzte er. »Mein Gott, sind Sie verrückt geworden?«
»Greg!«
Sie entwand sich dem Mann und huschte über das verkohlte Geröll zur Kante des Schachts, bis er die Arme um ihre Oberschenkel schlang, ihren Hintern an seine Brust drückte und sie aufhielt.
Keuchend starrte sie in das Loch.
Aus der Dunkelheit tauchte Greg auf, der, mit dem Kopf nach unten, gekrümmt im Gurtzeug hing.
Darcy hörte ihn stöhnen.
Er wurde aus dem Schacht gehoben, nackt bis auf die Unterhose, und umklammerte seine rechte Wade. Blut lief unter seinen Händen hervor.
Der Feuerwehrmann ließ Darcy los. Sie taumelte auf Greg zu und zog ihn vom Rand des Schachts weg. Während sie ihn umarmte, befreiten ihn andere aus dem Gurt. Sie hielt ihn fest, als er weggetragen und ins Gras gelegt wurde.
Sanitäter lösten seine Hände von dem blutverschmierten Bein. Darcy sah, dass ein Stück losgerissene Haut von der Rückseite der Wade herabhing.
Der kleine Zeh war verschwunden.
»O Gott«, murmelte Darcy. »Was …?«
Greg schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war blass, verschwitzt und schmerzverzerrt. »Sie haben mich gebissen. Sind aus der Dunkelheit gekommen und …«
»Sie waren tot «, stieß Darcy hervor.
»Andere. Zwei. Vielleicht auch drei. Nicht die Toten. Andere. Ich weiß nicht, wo sie hergekommen sind.«
»Um die werden wir uns kümmern«, sagte jemand hinter Darcy. Sie blickte über die Schulter und sah einen hünenhaften Sheriff, der sich hinabbeugte und Greg ansah. Er blickte ihr in die Augen, dann richtete er sich zu voller Größe auf und wandte sich ab. »Clement! Groves! Baker! Standish! Holt die Pumpguns, wir gehen runter. Beeilt euch! Wir müssen da unten aufräumen!«
Darcy neigte sich nah zu Greg hinunter. Mit der unverletzten Hand streichelte sie seine kühle, glatte Stirn. »Das wird schon wieder«, flüsterte sie.
»Bei dir auch.« Er versuchte zu lächeln. Sein Kinn zitterte.
»Mir wird es prima gehen«, sagte Darcy.
»Mir auch.«
Sie beugte sich tiefer hinab und fühlte die milde Abendbrise an ihren nackten Beinen, spürte, wie sie durch ihren dünnen Schlüpfer drang, wusste, dass sie von Feuerwehrleuten und Sanitätern, von Überlebenden und Schaulustigen und sogar ihrer Mutter beobachtet wurde.
Aber nicht von Kyle.
Es kümmerte sie nicht, was sie sahen.
Auf Knien ließ sie sich auf Greg sinken. Sie spürte seinen Atem an ihren Lippen. »Jetzt gehörst du mir«, flüsterte sie.
»Mir fehlt ein verfluchter Zeh.«
»Das war auch mein Lieblingszeh.«
»Liebst du mich trotzdem?«
»Und wie«, sagte sie und bedeckte seinen Mund mit ihren Lippen.
Werkverzeichnis der von Richard Laymon im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Titel
Richard Laymon wurde am 14. Januar 1947 in Chicago geboren. Er studierte englische Literatur in Salem, Oregon und Los Angeles, Kalifornien. Danach arbeitete er als Lehrer, Bibliothekar und Zeitschriftenredakteur, bevor er sich ganz dem Schreiben von Horrorromanen widmete. Sein Werk umfasst mehr als dreißig Romane und eine große Anzahl von Kurzgeschichten, die in den verschiedensten Kriminal- und Horrormagazinen veröffentlicht wurden.
Seine Romane machten ihn zu einem der bestverkauften Spannungsautoren aller Zeiten. 2000 wurde er zum Präsidenten der Horror Writers Association ernannt.
Richard Laymon starb unerwartet am Valentinstag des Jahres 2001. Der Bram Stoker Award für den besten Horrorroman (Die Show) wurde ihm im selben Jahr posthum verliehen.
»Es wäre ein Fehler, Richard Laymon nicht zu lesen!« Stephen King
»Ich habe jedes Buch von Richard Laymon verschlungen – schlaflos, atemlos!« Jack Ketchum
»Laymon hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. So schreiben kann niemand!« Dean Koontz
»Richard Laymon geht unter die Haut. Im wahrsten Sinne des Wortes!« Wulf Dorn
»Eines der seltenen Ausnahmetalente
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