Die Farbe Der Leere
Leben weitergegangen, und sie wollten die unangenehmen Erinnerungen nicht wieder aufleben lassen. Andere scheuten die Öffentlichkeit. Und erstaunlich viele wollten schlicht und einfach nicht gegen ihn aussagen.
»Er muss ein teuflisch guter Manipulator sein«, sagte Dan.
Brian hingegen war natürlich ein empfänglicher Adressat für die Einflüsterungen der Staatsanwaltschaft. Er würde eine lange, lange Zeit im Gefängnis verbringen. Die kleinen Vergünstigungen, die man ihm anzubieten hatte, konnten leicht die einzigen Lichtblicke seiner trostlosen Existenz werden. Als Gegenleistung für seine Aussage versprach man ihm zusätzliche Besuchserlaubnisse, Extrarationen Essen, Zigaretten. Und schließlich hatte Brian sich bereit erklärt, gegen Goldberg auszusagen.
Am Morgen der Anhörung fragte Dan Katherine, ob sie sich vor dem Gericht treffen wollten. Sie kamen früh, um einen Blick auf den Mann zu werfen, der Brian so glücklich gemacht hatte. Seine Erscheinung war so unbeeindruckend, dass Katherine fast losgelacht hätte. Das war also Brians große Liebe, der Mann, der die ganze Ostküste entlang Teenagerherzen gebrochen hatte. Und er sah aus wie ein x-beliebiger armseliger kleiner Spießer mittleren Alters mit Hängebauch und Haarausfall. Er hätte jedermanns langweiligster Onkel sein können.
Aber Brians Auftritt erschütterte Katherine. Er war für sie ein Fremder, bleich und grimmig in seinem zu großen orangefarbenen Gefängnisoverall. Katherine saß ein paar Reihen hinter Mr. und Mrs. Campbell. Falls Brian sie oder seine Eltern wahrnahm, ließ er sich nichts anmerken.
Brian betrat den Zeugenstand, und Staatsanwältin Debra Holt begann mit der offiziellen Vernehmung. »Erkennen Sie den Angeklagten Robert Goldberg?«
»Ja, ich erkenne ihn«, sagte Brian in widerborstigem Ton. Der Angeklagte starrte vor sich auf die Tischplatte. Sein Gesicht war gerötet, aber gefasst.
Holt fuhr in ihrer kompetenten, ruhigen Art fort.
»Und woher kennen Sie den Angeklagten?«
»Ich liebe ihn.«
Es ging ein hörbares kollektives Luftholen durch den Gerichtssaal. Holt sah schockiert aus, fing sich jedoch rasch und betrachtete einige Augenblicke angestrengt ihre Unterlagen, als könnten sie eine Erklärung dafür enthalten, warum ihr Hauptbelastungszeuge plötzlich von seiner zuvor so sorgfältig ausgetüftelten Aussage abwich.
Der Richter wies Holt an, mit ihrer Befragung fortzufahren. Auf einmal wusste Katherine genau, was jetzt kommen würde.
»Wann haben Sie den Angeklagten zum ersten Mal getroffen?«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
»Und was genau hat sich dabei –« Holt sprach weiter, als hätte Brian die Frage erwartungsgemäß beantwortet. Als sie abbrach, breitete sich unglückliches Begreifen in ihrer Miene aus. Sie war verarscht worden, und sie wusste es.
»Behaupten Sie, dass Sie den Angeklagten nie getroffen haben?«
»Nein, das hab ich nicht gesagt.«
»Also gut. Wann haben Sie den Angeklagten getroffen?«
»Ich kann mich nicht erinnern.«
Holt beantragte beim Richter, Brian als feindseligen Zeugen einzustufen, um ihn ins Kreuzverhör nehmen zu können. Dem Antrag wurde stattgegeben, und Holt gab ihr Bestes. Katherine bewunderte ihren Einfallsreichtum und ihre Hartnäckigkeit, aber sie wusste ebenso gut wie Holt selbst, dass es völlig hoffnungslos war.
Brian sagte aus, er erinnere sich nicht, wann er den Angeklagten kennengelernt habe, er wusste das Jahr nicht mehr, nicht mal das Jahrzehnt. Er erinnerte sich nicht, wo sie sich getroffen hatten. Er erinnerte sich nicht, wie ihn der Angeklagte genannt hatte. Er erinnerte sich nicht, ob sie sexuell miteinander verkehrt hatten.
»Wollen Sie behaupten, dass Sie niemals sexuelle Beziehungen zu dem Angeklagten hatten?«, fragte Holt müde. Man hatte sie geholt, um den Fall zu retten. Die Staatsanwaltschaft war in große Verlegenheit geraten, nachdem sie nicht eine überzeugende Aussage gegen den notorischen Goldberg zutage fördern konnte.
»Nein«, sagte Brian und blickte durch den Raum zu dem Angeklagten, der nach wie vor auf seine Tischplatte starrte. »Wir haben Liebe gemacht. Es war meine Initiative. Ich hab ihn über mein Alter belogen. Ich hab ihm erzählt, ich wäre achtzehn. Danach hat er mich immer wieder bekniet, ich soll zu einem Therapeuten gehen. Ich hätte niemals meine Eltern gebeten, mir eine Therapie zu besorgen, aber er überzeugte mich von dieser Idee. Er sagte mir, er möchte, dass ich glücklich bin, und er könnte sehen,
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