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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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Überlandfahrten, konnte aber einen Wagen steuern. Das gehörte zu ihrer Arbeit und war eine Vorbedingung für ihre Anstellung bei dem Autohändler gewesen, da sie manchmal das Geschäft aufsperren oder schließen und dann die Autos von der Ausstellungsfläche im Freien in die sichere Werkstatt fahren musste.
    Die beiden Mädchen wussten nicht, was sie anziehen sollten, doch aus dem, was Moana über den Ball gehört hatte, schloss sie, dass die gewagt kurzen, bunten Etuikleider, die Iris und sie gewöhnlich bei Partys trugen, nicht das Richtige waren. Auf einer knappen, der Einladung beigefügten Notiz war ihnen mitgeteilt worden, dass sie für ihre Arbeit in der Küche passende Kleidung gestellt bekämen, sie jedoch etwas zum Umziehen mitbringen sollten. Denn sobald ihre Arbeit getan sei, stehe es ihnen frei, den Rest des Abends zu genießen, außerdem erwarte man von ihnen, dass sie der Zeremonie beiwohnten, die im Morgengrauen stattfinde.
    Die Fahrt schien kein Ende nehmen zu wollen. Iris fuhr langsam und vorsichtig, denn sie wusste, welches Donnerwetter sie zu Hause erwartete, wenn der geliebte Vailant ihres Vaters auch nur einen Kratzer abbekäme. Der Wagen war so geräumig und sie so zierlich, dass sie kaum über das Lenkrad hinausragte. Ein entgegenkommender Fahrer hätte meinen können, ihr Auto wäre ferngesteuert.
    Auf Moanas hartnäckiges Drängen hin legten sie westlich von Kaitaia einen Zwischenstopp ein, um im Meer zu baden. Moana hatte nie so recht verstanden, wozu ein Badeanzug gut sein sollte. Viel lieber spürte sie das Salzwasser überall an ihrem Körper, insbesondere an den Stellen, die gewöhnlich vom Badeanzug bedeckt waren. Deshalb zog sie sich, kaum hatten sie die wüstenähnlichen Dünen durchquert, die unaufgeknöpfte Bluse über den Kopf, streifte den Rock und die Unterwäsche ab, schleuderte sie von sich und rannte in die Brandung – ohne darüber nachzudenken, ob sie womöglich von irgendjemandem gesehen wurde. Iris folgte ihr kurz darauf, obwohl sie sich erst die Zeit genommen hatte, ihr Kleid ordentlich zusammenzufalten und es auf ein Stück Treibholz zu legen, damit es nicht knitterte oder zu viel Sand abbekam.
    Moana klopfte das Herz bis zum Hals, als sie die Freundin nackt ins Wasser kommen sah. Iris’ Brüste waren klein, die Hüften nur wenig breiter als die Taille, und sie hatte die langen, schlanken Beine eines Stelzvogels, ganz anders als die meisten Nachkommen der Siedler Neuseelands. Denn dieser zähe und robuste Menschenschlag war an körperliche Arbeit gewöhnt und von geradezu unanständig guter Gesundheit. Die Zartheit ihrer Freundin weckte in Moana das Gefühl, sie beschützen zu müssen, aber auch Begehren; und als sie jetzt ins Wasser kam und ganz nah war, griff sie nach ihrer Hand und schloss sie in die Arme. Ihre nackten Glieder umschlangen sich in der Brandung, sie lachten und tobten und küssten sich in den salzigen Wellen, bis ihnen so kalt war, dass sie wieder ans Ufer schwammen.
    Als sie am Kap eintrafen, wurde es bereits dunkel. Außer dem Leuchtturm gab es keine weiteren Gebäude in der Gegend. Sie hatten aber auch keinen offiziellen Veranstaltungsort erwartet, vielmehr hatte Joan ihnen erklärt, sie würden den Ball nach ihrem Eintreffen schon finden. Der Platz für das Fest werde stets so gestaltet oder ausgesucht, dass er Uneingeladenen nicht auffalle, Eingeweihte ihn aber nicht verfehlen können.
    Moana hörte den Ball, ehe sie ihn sah. Sie parkten das Auto auf einem Grünstreifen in der Nähe des Leuchtturms, und kaum hatte sie beim Aussteigen die bloßen Füße aufs Gras gesetzt, wusste sie, wohin sie sich wenden mussten. Es waren seltsame Klänge, die an den klagenden Gesang der Wale erinnerten. Moana ging voraus, und die beiden Mädchen kletterten vorsichtig die steile Böschung hinunter zum Meer, das sich zu drei Seiten vor ihnen ausbreitete.
    Moanas Herz machte einen Satz. Genauso hatte sie es sich vorgestellt – als stünden sie am Ende der Welt. Vorn an der Landspitze, wo die Verstorbenen, wie es hieß, zum Sprung in das Leben nach dem Tod ansetzten, befand sich eine Schar von mindestens hundert großen weißen Vögeln in der Luft. Ihre Schwingen schlugen im Gleichtakt. Sie flogen von der Klippe auf, kehrten kurz darauf zurück, wirbelten umeinander, drehten sich, fanden zusammen, tummelten sich in dem kräftigen, vom Kap seewärts blasenden Wind. Das waren keine Vögel, erkannte Moana und schlug sich verblüfft die Hand vor den Mund. Es waren

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