Die Farbe der Liebe
Menschen mit kunstvoll gearbeiteten Federschwingen. Männer und Frauen, alle nackt. Die weiße Leuchtfarbe auf ihrer Haut brach das Licht der untergehenden Sonne zu einer Myriade von Farben, die fast zu grell waren, um sie zu bewundern.
Sie hätte ihnen endlos zuschauen können, diesen Wesen, die, wie es aussah, unbeschwert von irgendwelchen Geschirren oder Aufhängevorrichtungen durch die Lüfte schwebten. Doch weil sie wusste, dass man Iris und sie in der Küche erwartete, folgten die Mädchen dem Gesang der Wale hinunter zum Meer.
Anfangs schien der Strand verlassen. Als sich ihre Augen jedoch an die immer dunklere Abenddämmerung gewöhnt hatten, wurde Moana klar, dass die Umrisse, die sie zunächst für größere Steine gehalten hatte, Menschen waren. Sie trugen hautenge Anzüge aus silbrig grauem, schimmerndem Stoff und hatten sich, schlafenden Seehunden gleich, auf dem Sand zusammengerollt. Als die jungen Mädchen näher kamen, regten sich zwei von ihnen und standen auf, um sie zu begrüßen. Es waren Frauen mit großen Brüsten und derart steif vorstehenden Nippeln, dass Moana Schwierigkeiten hatte, ihnen beim Sprechen in die Augen zu sehen und nicht auf den Busen zu starren.
»Willkommen«, sagten die zwei gleichzeitig. Sie nahmen Moana und Iris an die Hand und führten sie einige hundert Meter den Strand entlang zu einem Dickicht aus Farn, das dem Anschein nach eine flache Mulde im Fels bedeckte. Bei ihrer Ankunft aber teilten sich die Pflanzen wie ein Vorhang und gaben den Blick auf einen hohen Tunnel frei, der so breit wie eine Straße war. Die Wände waren mit Kerzen beleuchtet, die man in Totenschädel gestellt hatte. Ob sie von Tieren oder Menschen stammten oder einfach nur naturgetreue Nachbildungen waren, ließ sich nicht sagen. Dennoch fand Moana sie nicht gruselig, sondern eher beruhigend. Als sie dem nur schwach erleuchteten Weg durch das Netz von Gängen und Höhlen im Innern des Felsens folgte, kam es ihr vor, als beträte sie eine fremde Welt
Laute Musik drang zu ihr, und als Moana mit den Fingerspitzen über die feuchten Felswände strich, spürte sie rhythmische Vibrationen, als befände sie sich in einem riesigen schlagenden Herz. Auf dem Weg in die Küche erhaschte sie durch Breschen und abzweigende Gänge immer wieder einen Blick auf die Gäste des Balls. Und was sie sah, war dermaßen seltsam, dass sie nicht mit Gewissheit sagen konnte, ob das Ganze nicht ein ausgesprochen verrückter und überkandidelter Traum war.
Wie ihre beiden Begleiterinnen und die Akrobaten, die draußen über den Klippen in den Lüften schwebten, trugen die Gäste keine Kleider, sondern waren auf eine Weise bemalt, die ihre Haut fast durchscheinend wirken ließ, sodass sie Geistern glichen – Reisenden, die aus dem Jenseits zurückgekehrt waren. Sie schämten sich ihrer Nacktheit nicht, und einige umarmten sich leidenschaftlich. Man sah ein Gewirr aus Armen und Beinen und hörte ein Stöhnen, das manchmal ein höchst menschlicher Ausdruck von Lust zu sein schien und zuweilen der jenseitige Schrei eines Engels oder Dämons. Iris nahm Moanas Hand, zog sie an sich und küsste sie kurz auf den Mund. »Wahnsinn!«, flüsterte sie. »Ich bin so froh, dass wir hergekommen sind.«
Man brachte sie in die Küche, wo man sie ganz unfeierlich anwies, sich zu waschen – nicht nur die Hände, sondern den ganzen Körper –, bevor sie die Arbeitskleidung anlegten. Das taten sie in einer Dusche, die einem der Felswand entspringenden unterirdischen Wasserfall glich. Anschließend gab man ihnen hauchdünne Kleider, die ihnen als Schürze dienen sollten, und führte sie zu ihrem Arbeitsplatz.
Moanas Aufgabe war es, kandierte bunte Blumen herzustellen. Dazu zeigte man ihr einen Berg bereits vorbereiteter, in allen Regenbogenfarben leuchtender Blättchen, die sie zu hauchzarten Blüten zusammenfügen musste. Das Rezept mit der Anleitung verriet nichts über die dazu notwendigen Schritte, sondern empfahl lediglich, sie solle sich darauf konzentrieren, Sehnsucht in sich zu wecken, um die Nachspeise und alle, die davon äßen, mit Verlangen zu füllen. Das fiel Moana ausgesprochen leicht, denn sie brauchte nur Iris anzuschauen, die an einem Tisch mit bloßen Händen geschnittene Mangos, Erdbeeren und Bananen zu Saft zerdrückte und deren wohlgerundete Pobacken sich unter ihrem kurzen Kittel abzeichneten.
Die Stunden vergingen rasch und wie in Trance. Moana hatte keine Ahnung, wie viele Blüten sie geformt hatte, denn kaum hatte
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