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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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Leine führte. Auf Händen und Knien schob sie ihre langen Beine mit jedem Hüftschwung so geschmeidig voran, als wäre ihr diese Art der Fortbewegung in die Wiege gelegt worden. Das hatte überhaupt nichts Hündisches, man dachte dabei vielmehr an eine Löwin. Erst als sie sich verabschiedeten, stand die Frau auf. Aurelia fand sie sehr ungewöhnlich: Ihre Augen waren grün gefleckt wie Schlangenhaut, ihre Lippen so rot und verführerisch wie der Apfel, in den Eva einst gebissen hatte, obwohl kein Hauch von Lippenstift zu erkennen war. Unwillkürlich glitt Aurelias Blick tiefer. Nur knapp über ihrer glatt rasierten Möse hatte sie einen Strichcode eintätowiert und daneben eine »1«. Ihre Blicke trafen sich, und sie verstanden einander sofort. Beide verfügten über eine Macht, die nichts mit ihrer jeweiligen Position zu tun hatte.
    Andrei hatte Aurelia bereits erklärt, dass die Frau mit der Nummer 1 die sogenannte »heilige Hure« des Balls sei, das personifizierte Lustobjekt. Auch sie hatte man getestet, ob sie sich als Maîtresse eigne, bevor man von Aurelias Existenz wusste; es wurde festgestellt, dass ihre Fähigkeit zum sinnlichen Genuss unendlich war, doch sie wollte ausschließlich als Sub dienen; die Neigung zur Dominanz, die eine wesentliche Voraussetzung für die Funktion der Maîtresse war und die sich bei Aurelia so natürlich eingestellt hatte, fehlte ihr völlig.
    Nummer 1 hatte sich für die Rolle einer Sklavin entschieden und zur Überraschung des gesamten Ballkomitees Thomas zu ihrem Gebieter erkoren. Man hatte allgemein damit gerechnet, ihre Wahl würde auf Tristan fallen; stattdessen hielt nun der exzentrische, bebrillte Engländer den Schlüssel zum goldenen Vorhängeschloss ihres Halsbands in Händen.
    In Gedanken machte sich Aurelia eine Notiz, Nummer 1 namentlich auf die Gästeliste zu setzen und sie nicht nur als Thomas’ Begleiterin einzuladen.
    Viele Tage lang ließen sie sich die Künste möglicher Darsteller vorführen. Einen Großteil dieser Aufgabe hatte Aurelia aus Gründen der Zeitersparnis delegiert, doch die Tänzerinnen und Tänzer für das Unterwasserballett wollte sie selbst auswählen. Sie hatte sich für eine Szene aus Schwanensee entschieden, in der beide Solisten ertrinken und eine Wiedergeburt erleben. Das konnte man vielleicht für ein bisschen morbide halten, aber es war eben ihre Art, den Tod ihrer Eltern zu betrauern und dieses Thema mit einem hoffnungsvollen Ausblick auf die Zukunft für sich abzuschließen.
    Die Rolle der Odette sollte eine russische Tänzerin namens Luba übernehmen. Sie stieg so anmutig aus dem Wasser, als wäre sie ein Teil davon, als hätten sich die Atome ihres Körpers aus Meerschaum zusammengefügt. Ohne vom Wasserthema zu wissen, hatte sie zu »La Mer« von Debussy vorgetanzt. Au relia war nicht weiter überrascht, als sie erfuhr, dass auch die hinreißende Luba von den Talentsuchern des Netzwerks entdeckt und für die Rolle der Maîtresse getestet worden war. Andrei hatte mit ihr getanzt und berichtet, dass sie eine außergewöhnlich schöne und begabte Frau sei, aber nicht die künftige Maîtresse. Ihr Herz sei bereits vergeben, sie würde nie ganz und gar dem Ball gehören.
    Im Gegensatz zu ihr, überlegte Aurelia, auch wenn sie diese Tatsache nicht bedauerte und deswegen keine Schuldgefühle mehr hatte. Sie wusste, dass sie über die seltene Gabe verfügte, Körper, Herz und Verstand ganz ihrem sinnlichen Verlangen auszuliefern und sich völlig gehen zu lassen. Ohne jede Rücksicht auf ihre Beziehung zu Andrei würde sie sich zumindest eine Nacht im Jahr völlig frei vom Strom der Lust mitreißen lassen, ohne dass ihre sonst so innige Bindung an ihn sie im Mindesten einschränkte. So war sie eben.
    Ihre Gedanken wanderten zur Krönungszeremonie, dem einzigen Programmpunkt, der von anderen vorbereitet wurde. Die Tradition verlangte, dass sie bei dem zeremoniellen Ritual vor den Augen der Feiernden genommen wurde, ohne dass sie vorher erfuhr, von wem.
    Doch als Maîtresse des Balls hatte sie bereits entschieden, mit so mancher Tradition zu brechen. In den Jahren ihrer Regentschaft würde sich eine ganze Menge ändern. Das war ihr Wunsch und Verpflichtung zugleich.
    Die Wochen der umfangreichen Vorbereitungen gingen wie im Flug vorbei, und dann war der Schicksalstag auch schon da.
    Es war eine klare Nacht, und unendlich viele Sterne am Himmel blinzelten ihr wie Engel zu, als wollten sie dem Geschehen ihren Segen geben. Der Anblick

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