Die Farbe der Liebe
weiterzukommen, mit Körper und Seele durch Feuer und Konflikte gehen müsse.
Zugleich aber riet ihr die Aurelia von einst zur Geduld, mahnte sie, ihrem früheren Traum die Treue zu halten.
Noch hatte sie Zeit mit ihrer Entscheidung.
Zeit, ihre Seele an der Quelle zu laben, die ihr zuerst die Welt der Lust eröffnet hatte.
Eine Glocke ertönte. Ein tiefer, schwerer Klang, der lange nachhallte und in dem Geschichte und Tradition lagen. Und Aurelia wusste, ihrem ersten Bewerber wurde damit signalisiert, dass seine Zeit abgelaufen war.
Andreis darauffolgende Berührung war so kühl und erfrischend wie eine Brise an einem heißen Sommertag. Er beugte sich herab, schob die Arme unter sie und hob sie hoch. Dann setzte er sie so behutsam wieder auf den Decken ab, als wäre sie eine Porzellanpuppe. Er neigte den Kopf und ließ seine Zunge über die Kratzer auf ihren Schultern gleiten und drückte sanft seine Lippen darauf. Bei jedem Luftholen atmete sie den Duft seiner Haut ein, als würde sie dadurch seine Seele in sich aufnehmen. Sie seufzte vor Lust, vergrub ihre Hände in seinem Haar und zog seinen Kopf an ihre Schulter. Sie sahen so friedlich aus wie zwei Vögelchen im Garten des Netzwerks.
Da drang Tristans Stimme an ihr Ohr. »Halt … so war das nicht gedacht …«, protestierte er.
Andrei unterbrach ihn.
»Deine Zukunft wird nicht von der Vergangenheit bestimmt, Aurelia«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Du kannst sie dir selbst wählen. Suche deinen eigenen Weg. Unseren Weg.«
»Ja«, entgegnete sie. Und im selben Augenblick wusste sie, was als Nächstes kommen würde. Sie ergriff Andreis Hände und drückte sie fest, dann konzentrierte sie all ihre Aufmerksamkeit, sämtliche Synapsen ihres Gehirns und jeden Nerv in ihrem Körper auf die Kraft, die sie in sich trug, und lenkte sie auf Andrei. Sie verstärkte tausendfach den Strom, der zwischen ihnen floss, wann immer sie sich berührten, bis sie spürte, dass er zuckte und bebte wie bei einem Orgasmus.
Die Umstehenden gaben leise Rufe von sich. Erschrockenes Murmeln lief durch die Menge.
Andreis Körper erschlaffte in ihren Armen.
Aurelia riss sich die Augenbinde ab.
Da war es, auf seiner Brust, deutlich sichtbar im silbernen Schein des fast vollen Mondes.
Der hellrote Umriss eines Herzens auf seiner Haut, direkt über seinem echten. Das perfekte Spiegelbild des Herzens auf Aurelias Brust, das nun im Einklang mit seinem schlug.
Andrei öffnete die Augen, schaute an sich herunter und dann zu Aurelia, die sich über ihn beugte und fasziniert das Zeichen auf seiner Haut betrachtete.
Tristan?
Andrei?
Auch wenn sie im Kopf noch immer zwischen den beiden Männern schwankte, die in ihrer Lust und Persönlichkeit so verschieden waren, hatte ihr Herz bereits eine Entscheidung getroffen. Ihre beiden Herzen.
»Ich gehöre dir, Aurelia«, flüsterte er zärtlich. Und Aurelias Herzen und ihr Körper sagten ihr, all die Frauen, mit denen er in der Vergangenheit zusammen gewesen war, würden in dieser Nacht wie Schatten zusammenschmelzen. Und wenn der Morgen graute, würden sie beide für immer und ewig eins sein. Die dunkle Verlockung durch Tristan verflüchtigte sich, und die oberflächlichen Spuren, die er auf ihrem Körper zurückgelassen hatte, verblassten.
Aurelia erhob sich, und die Umstehenden raunten ehrfürchtig.
11 DIE BEBILDERTE FRAU
Der Ball kam im Traum zu Aurelia.
Fünf Tage und fünf Nächte suchten sie Bilder heim. Es war, als würde sie von ihrem eigenen Bewusstsein attackiert. Gewaltige Orgasmen schüttelten sie im Schlaf, und oft erwachte sie schweißgebadet, zitternd und über alle Maßen erregt. Sex war nicht nur der Mittelpunkt ihres Lebens geworden, sondern bestimmte ihr ganzes, erwartungsvoll bebendes Sein. Sie hatte inzwischen die volle Macht über die Tattoos erlangt und konnte durch pure Gedankenkonzentration einen Bilderreigen der Lust auf ihrem Körper entstehen lassen oder ihre Stimmung, Bedürfnisse und Wünsche dadurch ausdrücken, dass sie eine ganz bestimmte Körperzeichnung heraufbeschwor. Aber wenn sie, ihrer Pflichten entbunden, in Andreis starken Armen im Bett lag, zeigte ihre Haut ganz von allein jede Empfindung und jeden Gedanken, der ihr durch den Kopf ging, mit einem leuchtenden Bild.
Manchmal liebten sie sich im Schlaf. Kopf, Herz und körperliche Bedürfnisse waren bei Aurelia so eins mit ihrem Verlangen geworden, dass sie nicht immer unterscheiden konnte, was davon sie die Glieder regen ließ. So groß war die
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