Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
schwören können, sie höre Gläserklingen und das heisere Gelächter einer betrunkenen Frau, deren Spiegelbild sie im Spiegel hinter der Theke sah. Mit jedem Atemzug war Ronnie fast, als könne sie das hefige Bier, den starken Alkohol und die schwitzenden Menschen riechen. Die Gäste schienen den Raum zu füllen, es war die Nacht auf Samstag und entsprechend voll. Überall um Ronnie herum drängten sich Menschen, viel zu viele für eine knapp einen Quadratmeter große Matte.
Sie – nein, Mark – saß am Ende der Theke. Neben ihm hockte ein müde aussehender alter Mann, der mit den Fingern gegen sein Glas klopfte – tap, tap, tap. Das Geräusch erregte Marks Aufmerksamkeit. Er schaute einige Male hinüber. Der Alte sah auf. Ihre Blicke begegneten sich. Der Mann murmelte etwas – eine Entschuldigung? – und hörte auf zu klopfen.
Mark hatte kein Getränk vor sich stehen. Nicht einmal ein leeres Glas.
Er schaute hinunter, griff in seine Tasche und zog ein Bündel Papier heraus. Er entfaltete die Bögen und legte sie auf die Theke.
Ausdrucke. Artikel. Berichte über die beiden Selbstmordfälle, von denen Mark ihr gestern erzählt hatte.
Er suhlt sich nicht in irgendwelchen Gefühlen, sondern er arbeitet. Gott sei Dank.
Ronnie las mit seinen Augen und nahm sich vor, Kopien der Ausdrucke machen zu lassen, um sie später genauer zu prüfen. Jemand musste etwas gesagt haben, denn Mark sah auf und drehte den Kopf. Ein paar Hocker weiter saß ein junger Mann – nett, mit schon leicht glasigen Augen und beschwipst – und lächelte ihm zu. Er sagte etwas, hob sein Glas. Mark nickte. Dann griff er nach seinen Papieren, faltete sie wieder zusammen und steckte sie weg.
Warst du der Unbekannte, der ihm das Bier spendiert hat?
Der Mann wirkte ganz unschuldig, und Ronnie hatte ihn noch nie gesehen, aber sie wollte niemanden ausschließen.
Mark blieb noch einige Minuten sitzen und beobachtete die Menschen ringsherum, die immer betrunkener wurden. Dann sah er auf die Uhr. Fünf Minuten vor halb zwei. Ronnie wusste, dass er die Kneipe in etwa fünf Minuten verlassen würde.
Er erhob sich von seinem Hocker. Sein Gesichtsfeld veränderte sich ein wenig, der Fokus glitt höher, dann bewegte er sich. Was für ein merkwürdiges Gefühl es war, sich durch einen Raum voller Menschen zu schieben und dabei die Füße fest auf dem Boden zu haben! Eins fiel Ronnie auf – Marks Gang wirkte nicht schwankend. Er sah scharf und deutlich, und seine Schritte waren sicher. Er schien kein bisschen beschwipst zu sein und stand jedenfalls nicht unter Drogen.
Mark ging nach hinten, lächelnde Gesichter grüßten ihn, Hände winkten. Die Leute kannten ihn hier, mochten ihn.
Er war auf dem Weg zur Männertoilette. Diese Szene beschleunigte sie nicht, und sie schloss auch nicht die Augen. So etwas wie Privatsphäre oder peinliches Berührtsein waren bei dieser Übung fehl am Platz. Es ging um ihren Partner, und jede seiner Bewegungen, jede Person, die er sah, konnte von Bedeutung sein.
Als er an die Theke zurückkehrte, stand ein voller Bierkrug darauf, genau vor dem Hocker, auf dem er gesessen hatte. Ronnie sog die Luft ein. »Bingo«, flüsterte Sykes irgendwo, in einem anderen Universum, aber sie ignorierte ihn.
Trink das nicht. Bitte nicht.
Mark sprach mit dem Barmann, der gleichgültig die Achseln zuckte. Er sah sich um, ohne jemandem direkt in die Augen zu schauen. Dann brach er die Regel, die jede Halbwüchsige lernt, bevor sie zu ihrer ersten Party geht: Finger weg von unbeaufsichtigten Getränken.
Er nahm den Bierkrug und schlürfte. Schluckte, tatsächlich. Trank aber nicht das ganze Glas leer, sondern vielleicht ein Drittel, dann stellte er es wieder ab. Nach einer weiteren kurzen Unterhaltung mit dem Barmann schaute er nach unten und griff in die Tasche. Ronnie sah ein Eckchen Plastik – ein kleines Päckchen? Vielleicht ein Asservatenbeutel? Aber Mark schob den Gegenstand in die Tasche zurück und holte stattdessen ein paar Münzen heraus. Er ließ sie auf die Theke fallen und ging nach draußen.
Als er auf die Straße trat, bemerkte Ronnie die Veränderung in seinem Blickfeld. Alles war ein ganz klein wenig unscharf an den Rändern. Die Straßenszene sah etwas schief aus, als habe er den Kopf schräggelegt. Und er taumelte, streckte die Hand aus, um sich an einer Hauswand abzustützen, als er sich von der Kneipe entfernte.
Die Droge begann zu wirken. Ronnie konnte sich nicht vorstellen, wie viel Pure V in dem Bier
Weitere Kostenlose Bücher