Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
nicht über die Bedeutung dieser letzten, verzweifelten Buchstaben.
Ronnie machte sich los, ging zu seinem Schreibtisch hinüber und griff nach dem Block, auf den er geschrieben hatte. Mist.
»Ron«, las sie die erste Zeile vor. »Das habe ich mitgekriegt. Wie konnte er bloß so geistesgegenwärtig sein, meinen Namen zu buchstabieren? Er wusste ja, dass ich mir die Bilder ansehen würde … «
»Ich nehme an, dass er dir etwas ganz Wichtiges zu sagen hatte«, erwiderte Jeremy kleinlaut und traurig.
»Und was war das?« Ronnie runzelte die Stirn, sie sah müde und verwirrt aus. »I, L, D und V – das sind die Buchstaben, die ich gerufen habe?«
»Genau«, murmelte Sykes.
»Es sah so aus, als hätte er versucht, davor und danach noch mehr Buchstaben zu bilden, aber die konnte ich nicht erkennen. Manchmal kam es mir so vor, als hätte er einfach die Faust geballt, dann wieder hingen seine Finger schlaff runter.«
Sykes antwortete leise, sanft. Er wartete darauf, dass auch Ronnie klar wurde, was er bereits erkannt hatte. »Das ist mir auch aufgefallen.«
Sie fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar, sodass es wild und stachlig hochstand. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie ungeduldig, während sie das Blatt betrachtete. »Mir fällt kein einziges Wort ein, in dem die Buchstaben I – L – D – V hintereinander vorkommen.«
Jetzt musste sie es doch kapieren.
Jeremy trat neben sie, legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte behutsam.
»Was?«, fragte sie misstrauisch und ein wenig abwehrend. »Was verschweigst du mir da?«
»Überleg mal, Veronica.«
Beim Nachdenken kniff sie die Augen zusammen, aber offenbar wollte ihr kein Licht aufgehen.
»Fang von vorn an. ›Ron, I’ könnte heißen‹ ›Ron, ich‹ … «
»L und D und dann V für Veronica?«
Vor Schreck sackte ihr die Kinnlade herunter, und ihre Augen wurden groß wie Untertassen, als ihr klar wurde, auf welche Möglichkeit Jeremy da anspielte.
»Nein. Das kann nicht sein.«
»Du weißt doch, was Mark für dich empfunden hat – was er für dich empfindet.«
Energisch drehte Ronnie sich fort. »Das ist Quatsch.«
»Er ist in dich verliebt, das steht ihm ins Gesicht geschrieben, jedes Mal, wenn er dich ansieht.«
»Halt den Mund, Sykes«, schnauzte sie ihn an. »Du weißt nicht, wovon du redest. Du kennst ihn nicht so, wie ich ihn kenne. Du wirst mir doch nicht weismachen wollen, dass Mark Daniels die kostbaren letzten Sekunden seines Lebens mit so etwas Bescheuertem wie einer Liebeserklärung an mich vergeudet hat.«
Jeremy wusste, dass Ronnie es einfach nicht glauben wollte. Er an ihrer Stelle hätte es auch nicht glauben wollen. Die Schuldgefühle lasteten schon schwer genug auf ihr, und wenn jetzt diese Bürde noch hinzukam, konnte Ronnie unter dem Gewicht zerbrechen.
Aber er konnte die Buchstaben nicht anders deuten.
»Ich muss hier raus«, flüsterte Ronnie. Sie hielt sich mit beiden Armen den Bauch. »Ich will wieder ins Krankenhaus.«
»Gut. Ich bringe dich hin.«
Ronnie öffnete den Mund, als wolle sie widersprechen – offenbar wollte sie im Moment nicht einmal mit ihm zusammen im Auto sitzen, denn nach seiner Interpretation der Buchstaben war sie wütend und fühlte sich verraten. Aber sie hatte keine andere Wahl.
»Ich nehme seine Kopien mit«, sagte Ronnie herausfordernd, als erwarte sie Widerspruch von Sykes.
»Das ist eine gute Idee«, murmelte er. »Bestimmt gibt es auch früher am Tag noch Momente, die wichtig sein könnten.«
Ronnie ging zu ihrer Workstation und fing an, die Daten zu kopieren. »Ja, natürlich.«
Auf der Fahrt zurück ins Krankenhaus herrschte eisiges Schweigen zwischen ihnen. Jeremy konnte sich kaum noch vorstellen, dass Ronnie und er die vergangene Nacht zusammen verbracht hatten. Im Moment sah sie aus, als hätte sie ihn am liebsten geohrfeigt.
Er drängte sie nicht. Früher oder später würde sie seine Deutung akzeptieren.
Aber als sie die Klinik erreichten und Ronnie aus dem Wagen sprang, fragte er sich, ob diese letzte, verzweifelte Botschaft von Daniels nicht noch mehr bewirkt hatte, als seine wahren Gefühle zu übermitteln. Er befürchtete sehr, dass diese Buchstaben sich auch verhängnisvoll auf seine eigene Beziehung zu Ronnie auswirken würden.
Denn ob Daniels nun überleben würde oder nicht, seine letzte übermenschliche Anstrengung würde Ronnie ihr ganzes Leben lang begleiten. Und Jeremy wusste nicht, ob sie sich jemals erlauben würde, darüber
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