Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
hinwegzukommen.
*
»Ich liebe dich, Veronica?«, murmelte sie und verdrehte die Augen, während sie durch das Wartezimmer wanderte, hin und her, als wolle sie eine Spur in die Fliesen treten. »Nein. Das stimmt nicht. Das kann doch nicht wahr sein!«
Oder doch?
Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen. Gut, sie verstand, warum Jeremy zu seinem Schluss gekommen war. Er kannte Mark nicht so, wie sie ihn kannte. Er war in den unglaublich harten, gefährlichen Situationen, die sie und ihr Partner gemeinsam durchgestanden hatten, nicht dabei gewesen. Allein Marks Härte und Abgebrühtheit hatten sie immer wieder gerettet.
Dass ihr raubeiniger Partner seine letzten Momente damit verschwendet hatte, Ich liebe dich zu sagen, würde sie erst glauben, wenn sie auch wieder an den Osterhasen glaubte.
Nein, nicht wieder . Sie hatte noch nie an dieses blöde Karnickel geglaubt. Und genauso wenig würde sie Marks Liebeserklärung einfach für bare Münze nehmen.
»Gibt’s was Neues?«, fragte sie, als eine Krankenschwester am Wartezimmer vorbeikam, stehenblieb, hineinschaute und sie anstarrte. Wahrscheinlich hatte es sich auf der Station herumgesprochen, dass eine Verrückte im Wartezimmer herumrannte und mit sich selbst redete.
»Nein, er ist noch im OP «, antwortete die Frau.
Ronnie befand sich allein im Wartezimmer. Ihr Chef war vor einer Stunde zurück in die Dienststelle gefahren. Andere Polizisten gingen ein und aus, aber im Moment war außer ihr niemand hier. Marks Angehörige – seine Mutter, sein Bruder, seine Ex-Frau und ein paar Vettern und Kusinen – wohnten an der Westküste und würden erst heute Abend spät eintreffen. Jeremy hatte sich nicht erboten zu bleiben, denn er wollte weiter an dem Fall arbeiten, was vermutlich richtig war. Und so war sie allein. Mit jeder Stunde, die verging, vergrößerte sich der Zwiespalt in ihr. Einerseits war sie erleichtert, dass Mark noch nicht tot war, und andererseits voller Angst, denn inzwischen dauerte die Operation schon mehr als zehn Stunden, und wie konnte jemand derartig schwere Verletzungen überleben?
»Kann ich Ihnen irgendwas holen? Haben Sie noch Kaffee?«
Ronnie schaute in den großen Kaffeebecher, den sie bis auf den letzten Tropfen geleert hatte. »Ich glaube, ich habe genug.«
»Okay«, sagte die Frau. Dann sah sie sich um, ob auch niemand sie hörte, und fügte hinzu: »Ich habe ein paar Schwestern sagen hören, dass es gut läuft und dass er ein verdammt harter Bursche ist.«
Ronnie lächelte, nickte. »Das ist er wirklich.«
Zu verdammt hart, um »Ich Liebe Dich« zu buchstabieren!
Nix da. Sie glaubte das einfach nicht.
Ronnie war klar, dass sie sich irgendwie beschäftigen musste, wenn sie nicht wahnsinnig werden wollte, und endlich fielen ihr die Dateien ein, die sie im Forschungsinstitut kopiert hatte. Ihr Handcomputer war zwar nicht gerade optimal, um die Bilder darauf zu sehen, aber hier gab es nichts Besseres. Und sie wollte keine Zeit mehr vertrödeln, sondern daran arbeiten, den Mann, der Mark überfallen hatte, zu überführen.
Sie setzte sich in die hinterste Ecke, damit ihr niemand über die Schulter gucken und auf den kleinen Bildschirm sehen konnte, stöpselte die Mikrofestplatte ein und rief Marks Downloads auf. Zu seiner letzten halben Stunde würde sie einen sicheren Abstand einhalten, aber gestern waren ja noch eine Menge anderer Dinge passiert. Davon hatte er gestern Abend am Telefon gesprochen, und jetzt wollte Ronnie sich ein genaueres Bild machen.
Einen großen Teil des Vormittags überging sie. Zur Vernehmung von Bailey war sie ja selbst in der Dienststelle gewesen, und sie wusste, dass Mark den frühen Nachmittag mit Surfen im Internet verbracht hatte, auf der Suche nach Infos über die sechs toten OEP -Teilnehmer. Genau das hatte Ronnie auch vor, und sie wollte auch die Artikel lesen, die er gefunden hatte, aber im Moment interessierte sie sich mehr für die Zeit, in der er sich im Weißen Haus aufgehalten hatte. Insbesondere hatte er erwähnt, dass er in dem geheimnisvollen Tunnel etwas gefunden hatte.
»Einen Schlüssel«, murmelte Ronnie. »Einen merkwürdigen kleinen Schlüssel.«
Als sie Mark angerufen hatte, gestern Abend etwa um halb zehn, hatte er gesagt, er hätte das Weiße Haus, wo er den Tunnel erkundet hatte, soeben verlassen. Also fing sie dort an.
Sie ging bis halb neun zurück und öffnete die Datei. Als sie sah, dass Mark sich anscheinend schon im Tunnel befand, scrollte sie mehrere
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