Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
verweichlichte, elitäre Art. Aber jetzt wirkte er, als versuche er, seine Emotionen fest unter Kontrolle zu halten. Während der Forensiker berichtet hatte, hatten seine Hände gezittert, und jetzt, als die Besprechung an Tempo gewann, entschuldigte er sich und verließ den Raum, als wolle er allein sein, bevor ihm die Tränen aus den Augen strömen konnten.
Natürlich hätte jeder sich so gefühlt, wenn eine Mitarbeiterin grausam ermordet worden war. Trotzdem, als Skeptikerin, die sie nun einmal war, konnte Ronnie nicht umhin, sich zu fragen, wie die Beziehung der beiden beschaffen gewesen war. Zumal er so darauf beharrt hatte, im Raum zu bleiben.
Mark war das offenbar auch aufgefallen. Während er konzentriert zuhörte, kritzelte er gleichzeitig Notizen auf den Bildschirm seines Taschencomputers. Dann drehte er das Gerät so, dass Ronnie das Geschriebene lesen konnte.
»Affäre?«, stand da unter anderem.
Ronnie nickte und schrieb auch etwas auf den Bildschirm. »Mögl. – zu alt für sie?«
Ihr Partner malte ein großes Dollar-Zeichen auf den Bildschirm.
Ja. Auf jeden Fall würde es sich lohnen, Mr. Jack Wilders’ finanzielle Situation zu überprüfen. Andererseits war er, ehrlich gesagt, wahrscheinlich auch so attraktiv genug, um einer jungen Frau in Leannes Alter zu gefallen.
Falls er irgendeine unschickliche Beziehung mit dem Opfer unterhalten hatte, würden die von Leannes optischem Chip heruntergeladenen Bilder das jedenfalls zeigen. Ronnie hoffte allerdings, dass das nicht der Fall war. Sie wollte wirklich nicht sehen, wie dieser vornehme Schnösel vögelte. Und schon gar nicht durch die Augen der Frau, mit der er es trieb. Das wäre Voyeurismus, auf die Spitze getrieben.
Einige der Todeskandidaten, an denen sie ihr Handwerkszeug gelernt hatte, hatten sich einen Spaß daraus gemacht, den Ermittlern ganz spezielle Bilder zu präsentieren. Nein, Ronnie hätte wirklich gut darauf verzichten können, in Nahaufnahme zu betrachten, wie ein kranker Vergewaltiger und Mörder sich einen runterholte. Sie hatte sich zwar gesagt, das gehöre eben zum Job dazu, doch das hatte es nicht weniger widerlich gemacht.
Ein paar Minuten später kehrte Wilders zurück. Die Haare auf seinen Schläfen wirkten feucht, als wäre er weggegangen, um sich zur Stärkung ein bisschen Wasser ins Gesicht zu spritzen und seine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen.
»Gehen wir also davon aus, dass der Mord einen terroristischen Hintergrund hat?«, fragte der FBI -Agent. »Der Ort, der Zeitpunkt und die, äh, Zerstückelung der Leiche sprechen dafür.«
Das war keine schlechte Schlussfolgerung, und Ronnie nahm an, dass alle Anwesenden zumindest darüber nachgedacht hatten. Aber diese Theorie hatte einen schwerwiegenden Fehler.
Phineas Tate räusperte sich, hob die Zeigefinger und tippte sie gegeneinander. Alle wurden still. Er hatte so mühelos ihre Aufmerksamkeit gewonnen, als hätte er einen Schuss abgefeuert. Offenbar wollte er auf diesen Fehler zu sprechen kommen. Ronnie jedenfalls erwartete das.
»Ihr Vorschlag ist durchaus begründet.« Tates freundliche, intelligente Zustimmung war wahrscheinlich das Beste, was dem Agenten heute passierte. »Es gibt jedoch noch ein weiteres Mosaiksteinchen, das wir hier berücksichtigen sollten. Wenn die Person, die diese Schreckenstat begangen hat, tatsächlich versucht hat, den Beweis für das Verbrechen zu verstecken, indem sie einen Körperteil des Opfers vom Tatort entfernte, müssen wir etwas Naheliegendes annehmen.«
Im Raum war es inzwischen ganz still geworden. Nur das Summen eines Druckers, der fast geräuschlos Papier auf einen Schreibtisch spuckte, und das Knacken von Marks Fingerknöcheln waren zu hören. Tate fuhr fort: »Der Täter muss gewusst haben, dass Ms Carr am Optical Evidence Program teilnahm.«
So weit so gut.
»Folglich muss er sie gekannt haben.«
»Nicht unbedingt«, murmelte Ronnie, bevor sie sich eines Besseren besinnen konnte.
Tate sprach weiter, als hätte sie nichts gesagt. »Ich habe den Verdacht, dass Ms Carr die Geheimhaltungsvorschrift missachtet und jemandem von dem Programm erzählt hat. Diese Person hat sie später ermordet. Die Brutalität deutet auf einen persönlichen Racheakt hin, daher nehme ich an, dass Sie nach einem erzürnten Liebhaber oder Freund suchen sollten.«
Ronnie war kurz davor, diese Theorie zu kritisieren, ganz egal, wie sehr sie Tate bewunderte. Es gab nämlich noch eine weitere Möglichkeit, die durchaus ernst zu nehmen
Weitere Kostenlose Bücher