Die Farbe Des Zaubers
wem er sprach. »Bitte, nein! Ich bin tot - aber meine Stadt nicht. Sie braucht sie! Mriga, bitte, rede es ihr aus!«
Mriga konnte ihn nur ansehen; Tränen verschleierten ihre Augen. »Auch sie hat sich erboten, den Preis zu bezahlen«, erklärte die Königin. »Ich biete dir an, die Entscheidung zu treffen.«
Harrans Kiefer bewegten sich, als er mit den Zähnen knirschte. »Nein«, sagte er schließlich. »Ich werde nicht gehen — nicht um diesen Preis! Schickt sie heim. Aber ...«
»Wir gehen nicht ohne ihn!« erklärte Mriga fest.
Siveni blickte mit blitzenden Augen hoch. »Ganz gewiß nicht!«
Die Gegend wurde heller. Mriga fragte sich, ob es an Sivenis Speer lag oder an etwas anderem? Die Häuser waren fast hell wie die von Freistatt, wenn der gewohnt trübe Sonnenschein auf sie fiel. Überall rundum starrten und blinzelten die Toten. »Laßt wenigstens ihn gehen«, bat Mriga. »Wir werden beide bleiben!«
»Ja«, bestätigte Siveni.
Die Todeskönigin blickte düster von einer zur anderen.
Tyr löste sich von Harrans Seite und sprang neben Siveni an der Königin hoch, drückte ihre staubigen Vorderpfoten auf das weiße Gewand und blickte mit den großen rehbraunen Augen in ihr Gesicht.
»Ich bleibe ebenfalls«, sagte Tyr.
Mriga und Siveni und Harran zuckten heftig zusammen. Nur Ischade wandte das Gesicht ab und verbarg ein Lächeln.
Überrascht blickte die Königin auf die Hündin hinunter, schließlich streckte sie die Hand aus und kraulte sie hinter einem Ohr. »Diese wahre Orgie der Selbstaufopferung ist für Freistatt?« fragte sie mit dem mattesten Lächeln, das man sich vorstellen kann.
»Mehr oder weniger, Madam«, sagte Ischade ebenfalls schwach lächelnd. »Ich bezweifle jedoch, daß die Stadt es verdient.«
»Bestimmt nicht. Aber wie selten bekommt irgend jemand, was er verdient. Was vielleicht ganz gut ist.« Die Königin ließ den Blick über die Bittsteller wandern — ein Sterblicher, eine kniende Göttin, eine stehende Göttin und (offenbar) eine weitere, die sich gegen sie lehnte und sich die Ohren kraulen ließ. »Kein Wunder, daß ihr zwei solche Schwierigkeiten hattet, eins zu werden. Ihr seid Teil einer Dreifaltigkeit, und ohne eure dritte, kann es nie Einigkeit über irgend etwas geben. Doch was mit ihm ...«
»Ihnen«, verbesserte Tyr sie.
Die Königin verzog das Gesicht. »Eine Vier-Personen-Dreieinigkeit? Ohne Zweifel muß ich euch alle irgendwie loswerden. Es gäbe keine Ruhe mehr für irgend jemanden von uns, wenn ihr alle leuchtend hier herumwandelt und die Ordnung untergräbt — und streitet.« In diesem warmen, schmelzenden Licht wirkte sie viel weniger finster und schrecklich denn zuvor. Mriga fand sogar, daß sich ihre Augen belustigt zusammenzogen; aber in dem wachsenden Leuchten und der Weise, auf die es blendend von ihrem Schleier zurückgeworfen wurde, war es schwierig, sicher zu sein. »Doch Gesetz ist Gesetz, und der Preis muß bezahlt werden!«
Eine lange Pause setzte ein.
»Wir vier könnten uns abwechseln«, schlug Harran vor.
Siveni starrte ihn erschrocken an, dann lächelte sie. »Du bist wahrhaftig mein Priester. Ja, jeder von uns könnte abwechselnd ein Viertel der Zeit hier verbringen«, wandte sie sich an die Königin.
Die Königin schwieg eine Weile. »Ich glaube, ich könnte dieses Abkommen vor meinem Gemahl vertreten«, sagte sie schließlich. »Aber euer Priester ist tot, Göttinnen. Er hat keinen Körper mehr, zu dem er zurückkehren könnte, genau wie dieses arme Kind ...«
»Er ist eigentlich kein Kind mehr«, widersprach Harran. »Er ist etwa siebzehn, und ich versuche immer wieder, euch allen klarzumachen, daß er nicht tot ist!«
»Aber ...« Die Königin betrachtete den Seelenkörper des Jünglings in dem zunehmenden Licht genauer. »Das stimmt«, bestätigte sie. »Diese Seele ist geborsten!«
Mriga stand wie erstarrt, als sie an den jungen Körper zu Harrans Füßen dachte, der so steif und reglos war, doch — daran erinnerte sie sich nun erstaunt — nicht kalt. »Er wurde in dem Sturmangriff, in dem Ihr Euer Leben verloren habt, niedergestreckt, Harran. Aber im Gegensatz zu seinem Körper überlebte sein Geist den Hieb nicht. Das passiert manchmal — eine Seele ist zu zerbrechlich, die Vorstellung ihres Dahinscheidens zu ertragen, und löst sich auf. Sie läßt den Körper noch atmend, aber leer zurück ...«
»Der Pfeil hat die Hauptschlagader verfehlt«, erklärte Harran. »Die Wunde wird schmerzen, aber heilen ...«
»So
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