Die Farbe Des Zaubers
staubbedeckt neben dem Thron. Offensichtlich hatte die Hölle ihre Königin zum eigenen Abbild geformt und ihr selbst jene Leidenschaft genommen, die sie hierhergeführt hatte — und wie jene, über die sie herrschte, hatte sie sich damit abgefunden. Plötzlich verstand Mriga, daß der Ausdruck erschreckender Resignation in Razkulis Gesicht der aller Gesichter hier war.
Mriga blickte auf Ischade. Die Nekromantin stand völlig ruhig mit Tyr an ihrer Seite und verbeugte sich vor der stillen Frau auf dem Thron. Die Geste war durchaus achtungsvoll, doch aus der Ruhe sprach unmerklich der kühle Hochmut der Nekromantin. Selbst hier ist niemand ihr Meister , dachte Mriga gleichermaßen verärgert und bewundernd.
»Madam Ischade«, sagte die Königin der Hölle. Ihre Stimme war weich und dunkel, eine leise, klangvolle Stimme. Es fiel schwer, sich vorzustellen, daß sie je gelacht hatte. »Ihr wart lange nicht mehr hier. Und noch nie zuvor brachtet Ihr Freunde mit.«
»Sie kommen geschäftlich, Madam«, erklärte Ischade. Ihr Benehmen gegenüber der Königin war so offen und geradeheraus wie gegenüber jedem anderen, den sie als gleichgestellt erachtete. »Siveni Grauaugen — Ihr erinnert Euch vielleicht an sie. Und Mriga, eine neue Göttin, vielleicht dieselbe wie Siveni. Sie sind dabei, es klarzustellen.« Sie lächelte leicht. »Und Tyr.«
Tyr setzte sich, wedelte mit dem Schwanz und betrachtete die Höllenkönigin.
Sie hieß sie nicht willkommen, sondern sagte: »Ich weiß, weshalb ihr hier seid. Ich versuchte mehrmals, euch durch den einen oder anderen meiner Diener aufzuhalten. Nun seid Ihr selbst verantwortlich für alles, was von jetzt an mit euch geschieht.« Sie blickte sie an und wartete.
Mriga schluckte. Siveni, die neben ihr stand, fragte: »Madam, was verlangt Ihr für Harrans Seele?«
Die Königin blickte sie ernst an. »Das übliche. Den gleichen Preis, den mein Gemahl von den Göttern für meine Rückkehr forderte und den die Götter sich weigerten zu zahlen. Die Seele des Käufers.«
Mriga und Siveni schauten einander an.
»Gesetz ist Gesetz«, sagte die Königin. »Eine Seele für eine Seele, daran hat sich nichts geändert. Kein Gott war bereit, sein Leben für meine Freiheit zu opfern. Und das war auch ganz gut so, denn ich wollte nicht weg.«
Ischade verzog kaum merklich die Lippen.
»Warum auch«, fuhr die Königin fort, »nachdem ich soviel auf mich nahm, um hierherzukommen? Ich gab meine Rolle als Frühlingsgöttin für etwas Lohnenderes auf. Shipri kümmert sich jetzt um den Frühling.« Sie machte eine Pause. »Außerdem braucht sogar der Tod Liebe«, endete sie schließlich.
Mriga fiel nichts ein, was sie hätte sagen können.
»Nun?« Sie blickte ernst und geduldig auf die beiden hinunter. »Wählt. Seid ihr bereit, den Preis zu bezahlen? Und wer von euch?«
»Ich!« riefen Siveni und Mriga gleichzeitig. Dann starrten sie einander an.
Siveni wandte sich wütend der Höllenkönigin zu. Doch Wut konnte diesem Blick nicht standhalten. Einen Augenblick später fauchte Siveni Ischade an. »Es ist alles Eure Schuld!«
Ischade schwieg.
Eine Hand schoß hinter Siveni hervor und entriß ihr den Speer. Siveni wirbelte herum, doch Mriga hatte den Speer bereits blitzschnell 75 umgedreht und richtete die zischende Spitze auf Sivenis Herz. »Benimm dich nicht idiotisch! Harran braucht dich! Und diese Stadt braucht alle kriegerischen Götter, die sie in nächster Zeit nur aufbieten kann, da Ranke ganz zerfällt und die Beysiber und Nisibisi sie von zwei Seiten bedrängen. Ich bin sterblich genug für einen erfolgreichen Tod. Und wenn ich erst weg bin, hast du deine sämtlichen Eigenschaften wieder vereint. Also, Siveni ...«
»Harran hat recht, du bist immer noch verrückt! Angenommen, die Eigenschaften bleiben hier, wenn du stirbst, und sind so auf immer verloren? Was wird dann aus Freistatt? Hast du denn nicht begriffen, daß ich zwar die Eigenschaften des Kriegers habe, du jedoch die des Siegers?«
Nun lagen zwei Paar Hände um den Schaft des Speeres und rangen um ihn, und egal, was Siveni gesagt hatte, sie waren gleich stark. Hin und her schwankte der Speer, bis die Königin Einhalt gebot, und beide gebannt verharrten. Nur ihre Augen bewegten sich und glitzerten, als sie sie von der Seite ansahen.
»Ich möchte diesen Mann sehen, um den zwei Göttinnen streiten«, sagte sie. »Skotadi!«
Zwischen Mriga und Siveni und dem Thron faltete sich die Dunkelheit zu einer Schattengestalt
Weitere Kostenlose Bücher