Die Farben der Freundschaft
Sie muss in seiner jungen Seele etwas zum Klingen gebracht haben.«
»Ich verstehe …« Der junge Journalist schrieb zögernd. »Und wovon handelt sie?«
Da fehlten auch Mutter die Worte, denn an die Einzelheiten der Geschichte konnte sie sich offenbar nicht erinnern. Hilfe suchend sah sie zu Julian hin, aber der blickte konzentriert auf eine bestimmte Stelle auf dem Fußboden.
»Es geht darin um die Fähigkeit, durch Zeichnen einen Weg aus seinen Problemen heraus zu finden. Und damit zu einer Lösung zu kommen«, sagte ich schnell.
Julian, der mit einem losen Faden an seinem ausgeblichenen Jeanshemd gespielt hatte, sah auf und nickte langsam. Unsere Blicke trafen sich, und ich spürte, dass ihn meine Antwort freute. Er gab dem Journalisten noch ein paar nichtssagende Erklärungen und überließ es dann Mutter, die restlichen Fragen zu beantworten. Als aber der Journalist wissen wollte, welche Farbe er beim Malen bevorzuge, huschte ein verächtlicher Blick über Julians Gesicht. Er stand auf und verließ den Raum, womit er deutlich zu verstehen gab, dass das Interview für ihn beendet war. Nun musste Mutter sich überschwänglich bei dem Reporter entschuldigen und ihm einen erlesenen Portwein anbieten, den sie für besondere Anlässe immer bereithielt.
»Nichts ist attraktiver als ein Enfant terrible«, sagte Dashel, als ich ihm von dem Interview erzählt hatte und mich in einen Sessel in seinem Büro fallen ließ.
»Er ist kein Enfant terrible, Onkel D«, murmelte ich, lehnte mich in das weiche schwarze Lederpolster zurück und schloss die Augen. »Desmond und seine gemeine Bande sind Enfants terribles, und die sind alles andere als attraktiv.«
Mein Kopf schmerzte von der ständigen Anstrengung, mich vernünftig und gelassen zu geben, ich war müde und kaputt, aber drei Wochen würde ich an der Barnard-Highschool noch durchhalten müssen. Die ganze Schule wusste inzwischen, dass ich abgehen und auf die Parktown-Highschool für Mädchen wechseln würde. Gerüchte verbreiten sich schneller als Unkraut, und nachdem Direktor Dandridge das Lehrerkollegium darüber informiert hatte, dass Ruby Winters, ehemalige Vertrauensschülerin und früher ein beliebtes Mädchen, die allseits geschätzte Bildungseinrichtung verlassen werde, wussten bald auch sämtliche Schüler von meinem bevorstehenden Abgang.
Es ging das Gerücht, dass ich zu Johann auf die Steunmekaar-Schule gehen wollte, und hinter meinem Rücken – doch laut genug für meine Ohren – fielen allerlei abfällige Bemerkungen. Zu meiner Überraschung gab es aber trotzdem ein paar Schüler, die mich heimlich wissen ließen, dass sie meinen Weggang bedauerten. Die Jungen, die sich immer noch etwas aus mir machten, klopften mir kurz auf den Rücken, wenn ich auf den Gängen der Schule an ihnen vorbeikam, und manche der mutigeren Mädchen ließen sogar kleine Zettel auf meinen Tisch fallen, auf denen Sätze standen wie: »Wir werden oft an dich denken« oder »Jammerschade, dass du abgehst, aber vielleicht ist es am besten so. Viel Glück!«
Nach wie vor war ich für alle in meiner Abschlussklasse eine persona non grata , deshalb gewöhnte ich mir an, die Mittagspausen in der Bibliothek zu verbringen; um diese Jahreszeit war es draußen bitterkalt. Ich las In einem anderen Land von Hemingway, da Mutter es in ihrer kleinen Rede über Julian erwähnt hatte. »Auch unter Druck Würde und Anstand bewahren«, diese Worte hatten ein Echo in mir ausgelöst und waren zu einer stummen Zauberformel geworden, mit deren Hilfe ich den Schultag überstand. »Auch in demütigender Situation Würde und Anstand bewahren« hieß das in meinem Fall.
Wären nicht meine Telefonate mit Loretta gewesen, spätabends, wenn ihr Pa schon schlief, und danach die Gespräche mit Johann, der seiner Schwester den Hörer abnahm, sobald wir mit unserem Mädchengeplauder fertig waren – ich weiß nicht, wie ich meine letzten Wochen an der Barnard High ertragen hätte. Loretta und Johann waren inzwischen meine einzigen wahren Freunde, obwohl wir kilometerweit voneinander entfernt wohnten.
»Mach dir keine Sorgen, Ruby. An deiner neuen Schule wird alles besser werden für dich.« Loretta versuchte immer, mich aufzurichten, wenn ich ihr erzählte, wie einsam und isoliert ich mich fühlte.
»Ich fürchte mich vor jedem neuen Tag. Am liebsten wäre ich mit dir zusammen auf der Schule«, sagte ich oft zu ihr.
» Ja, ek ook. Aber du lernst auf Englisch und ich auf Afrikaans. Es ist eben die
Weitere Kostenlose Bücher