Die Farben der Freundschaft
rotschwarzen Tücher, und endlich konnte jeder die Authentizität und die Brillanz seiner Bilder sehen.
In den nächsten Wochen berichteten die Zeitungen in Johannesburg, London und San Francisco, ein neuer Stern sei aufgegangen, der nun seinen Platz am Himmel behaupten werde. »VERHAFTUNG EINES SCHWARZEN KÜNSTLERS BEI AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG VEREITELT« , diese Schlagzeile machte Julian und damit auch Mutters Galerie in der Kunstszene rund um die Welt berühmt.
Nicht einmal Mutter mit ihren originellen und kreativen Einfällen hätte sich eine derart wirkungsvolle Präsentation ausdenken können.
23
DIE Anspannung und Sorge, die in unserem Haus geherrscht hatte, wurde von chaotischer Betriebsamkeit abgelöst. Das Telefon stand nicht still, weder zu Hause noch in der Galerie, und Mutter und Julian wurden von Kunstkritikern lokaler und ausländischer Zeitungen um Interviews gebeten. Tag für Tag strömten Menschen in die Galerie, um Julians Bilder zu sehen, und Dashel witzelte, wir könnten glatt Eintritt verlangen.
Die meisten der Bilder gingen ziemlich schnell weg und wurden mit orangefarbenen Aufklebern markiert: verkauft. In einem Monat, wenn die Ausstellung vorüber sein würde, sollten sie an ihre neuen Besitzer geliefert werden. Julian schien insgeheim verblüfft über all das Interesse, das ihm so unerwartet entgegenschlug, doch Mutter meinte nur: »Ich hab’s dir doch gesagt.«
Ruhm, so schien es, konnte ein falsches Gefühl von Sicherheit erzeugen. Mutter und Vater verhielten sich, als wäre unser Haus plötzlich mit einem Schutzschild gewappnet, der uns vor jedem drohenden Übel bewahren würde. Als wäre Ruhm ein gepanzerter Ritter mit einem unüberwindlichen Silberschwert. In dieser Stimmung schienen meine Eltern für kurze Zeit zu übersehen, dass wir noch immer überwacht wurden, und sie öffneten ihr Haus wieder ANC-Mitgliedern, die in den stillen dunklen Nachtstunden bei uns ein- und ausgingen.
Nachdem er die aufregende Ausstellungseröffnung hinter sich und nun seinen Platz in der Welt der Kunst gefunden hatte, begann Julian, seine ganze Energie gegen die verhasste Apartheidspolitik der Regierung einzusetzen. In den folgenden Wochen verbrachte er weniger Zeit in der Galerie als in Vaters Arbeitszimmer, wo hinter verschlossener Tür heimliche Zusammenkünfte mit anderen Schwarzen abgehalten wurden, Männern wie Frauen. Da Julian auf diese Weise nachts immer lange auf war, verschlief er den größten Teil des Tages. Gewöhnlich war seine Zimmertür noch geschlossen, wenn ich nachmittags von der Schule nach Hause kam. Diesen Schlafrhythmus unterbrach er nur, wenn ein Interview anstand. Dann weckte Mutter ihn und fuhr mit ihm zur Galerie, wo solche Treffen stattfanden. Julian, dem Interviews immer unangenehm waren, überließ das Reden zum größten Teil meiner Mutter. Auf Fragen, die an ihn persönlich gerichtet waren, antwortete er in kurzen knappen Sätzen. Obwohl er sich selbst nicht so einschätzte, wurde er oft als ein grüblerischer, zorniger junger Künstler beschrieben, dessen Verbitterung und Wut sich sowohl in seiner Kunst als auch in seiner Person ausdrücke. Das steigerte natürlich die Faszination und zog weitere neugierige Reporter an.
Eines Nachmittags, nach einem besonders miserablen Tag in der Schule, fuhr ich zur Galerie und setzte mich dazu, als in Mutters Büro gerade ein solches Interview begonnen hatte. Mir wurde schnell klar, warum Julian den Ruf des Unnahbaren erhalten hatte.
»Können Sie uns sagen, Mr. Mambasa, was Sie inspiriert hat, Künstler zu werden?«, fragte der junge eifrige Journalist im Nadelstreifenanzug, den Stift gezückt in der Hand.
»Harold und die rote Kreide«, sagte Julian, ohne zu zögern.
Ratlosigkeit huschte über das Gesicht des Journalisten. »Entschuldigen Sie, aber könnten Sie vielleicht erklären, was Sie damit …?«
Julian aber, zufrieden mit seiner Antwort, sah den jungen Mann nur unbewegt an. Als Mutter begriff, dass Julian alles gesagt hatte, was er zu diesem Thema sagen wollte, schaltete sie sich rasch ein, um die Situation zu retten.
» Harold und die rote Kreide ist eine wundervolle Geschichte für Kinder, die Julian zum ersten Mal hörte, als er noch ein kleiner Junge war. Seine Mutter war Hausangestellte, und die Frau des Hauses las dieses Buch damals gerade ihrem Sohn vor. Julian, der eigentlich seiner Mutter bei der Wäsche helfen sollte, versteckte sich hinter der Wohnzimmertür und hörte die ganze Geschichte mit an.
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