Die Farben der Freundschaft
anerkennend zu der grimmigen Frau, und sie nickte. Dann gab sie uns einen Laib Brot und eine Flasche heißen Tee und drängte uns, wieder in den Van zu steigen. Ich war dankbar, etwas Warmes in den Magen zu bekommen, und nachdem ich gegessen hatte, legte ich den Kopf an Vaters Schulter und schlief ein.
Ich träume, dass Benjamin und Thandi heiraten und Sophia ihr Blumenmädchen ist, sie hat ihr Schild in der Hand: »Kein Afrikaans in Soweto!« Ich bin die Brautjungfer, an meiner Schuluniform glänzt ein Vertrauensschülerabzeichen. Ich träume, dass Julian an einer Staffelei sitzt und uns mit roter Malkreide zeichnet und Mutter und Vater eng umschlungen tanzen. Dann kommt Johann auf mich zu und winkt. »Das Mädchen im Fenster« winkt zurück. Johann zieht die Ruder ein und will zu mir zu kommen …
Vater rüttelte mich behutsam wach. »Wir sind an der Grenze, Ruby. Ich meine, Veronica.«
Mosambik war im vergangenen Jahr ein unabhängiges Land geworden, nachdem es jahrelang unter portugiesischer Herrschaft gestanden hatte. Die neue Regierung, jetzt unter einem schwarzen Präsidenten, bot Mitgliedern und Anhängern des südafrikanischen ANC Zuflucht. Das erklärte mir Vater leise und hastig, während wir uns dem Grenzposten näherten. Ich hörte, wie unser meist schweigender Fahrer jetzt schnell und in einer fremden Sprache mit dem uniformierten Wachmann redete. Es musste Portugiesisch sein, da Vater gesagt hatte, dies sei die meistgesprochene Sprache im Land.
»Ganz ruhig«, sagte Vater noch, da wurde die hintere Wagentür aufgerissen. Ein dunkeläugiger Mann verlangte unsere Papiere. Er überflog sie und betrachtete eingehend die Fotos auf den Pässen, dann sah er Vater und mich prüfend an. Er befingerte den gefälschten Brief des Direktors und warf einen kurzen Blick auf die Worte. Ich konnte kaum atmen, und ich spürte, wie sich Vaters Beinmuskel neben mir anspannte. Wir rührten uns nicht. Nach einigen Sekunden, in denen unsere Nerven zum Zerreißen gespannt waren, nickte der Mann und gab Vater die Papiere zurück. Dann machte er dem Fahrer ein Zeichen, dass wir die Grenze passieren durften. Vater steckte die Dokumente langsam zurück in seine Jackentasche, dann griff er nach meiner Hand und drückte sie, hielt aber den Blick unbeirrt auf die Straße vor uns gerichtet. Die Straße, die uns nach Maputo bringen würde, in die neu benannte Hauptstadt. Hätte Vater zu mir herübergeschaut, hätte er meine Tränen gesehen – ich musste an die frischen Sommerregengüsse denken, an Minze und Lavendel im Garten, an die Radfahrten auf kurvenreichen Wegen den Westcliff Höhenrücken hinunter, an das Rudern auf dem Zoo Lake. Ich sehnte mich nach der schmalen Hand meiner Mutter, wenn sie mir eine Haarsträhne aus den Augen strich, ich sehnte mich danach, den Geruch der Farben im Atelier einzuatmen und dabei Julians tiefe Stimme zu hören, wenn er mir ein bestimmtes Bild erklärte. Ich dachte an Johanns starke Arme um meinen Körper und an Lorettas freundliche Stimme, wenn sie mir versicherte, dass ich für immer ihre Freundin sei, was auch kommen möge. Mein Herz machte einen Hüpfer, genau in dem Moment, als wir durch ein tiefes Schlagloch fuhren, das erste von vielen auf den schlechten Straßen nach Maputo.
»Amerika«, sagte Vater am nächsten Morgen nach einer schlechten Nacht in einem engen Hotelzimmer im Industrieviertel der Stadt. Von draußen hörte ich das Knirschen von Maschinen und das Zischen von Dampf, den eine nahe gelegene Verbrennungsanlage freisetzte. »Wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich habe heute Morgen mit deiner Mutter telefoniert, sie schließt das Haus ab und geht für eine Weile nach Kapstadt. Im Moment ist es in Johannesburg doch zu riskant für sie.«
Schon bedeckte ein dunkler Schatten Vaters kahl geschorenen Kopf. Ein paar Wochen nur, und seine Haare würden nachgewachsen sein, dicht und gewellt wie vorher, aber in unserem Leben würde nichts mehr so sein wie zuvor.
»Amerika, Vater? Und wohin da?« Ich stülpte mir wieder die blonde Perücke auf den Kopf. Hoffentlich würde ich sie nicht mehr tragen müssen, wenn wir erst mal über dem Atlantik wären.
»New York«, sagte er. »Meine Kontaktleute haben dort eine Bleibe für uns.«
Vater setzte sich auf die Kante des schmalen Bettes und fuhr mit der Hand über die ausgefranste Überdecke. »Ich wäre beim Unternehmensrecht geblieben und hätte mich um Politik nicht gekümmert«, er schüttelte den Kopf, »wenn ich gewusst
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