Die Farben der Freundschaft
kommenden Ereignisse überstanden hätte.
Mutter und Vater beharrten darauf, dass ich auch an diesem Tag zur Schule ging, obwohl ich überzeugt war, dass am Eingang ein riesiges Schild mit blinkenden Neonbuchstaben hängen würde: »Eintritt für Ruby Winters verboten! Die erste Schülerin in fünfundzwanzig Jahren, die von der Barnard-Highschool ausgeschlossen wird.«
Widerwillig ging ich durch das Schultor, an dem überraschenderweise kein Schild meinen Rauswurf verkündete. Als ich aber vom Rad stieg, kam Miss Allison, die Schulsekretärin, auf mich zu und teilte mir mit, Direktor Dandridge wünsche mich in seinem Büro zu sprechen, jetzt gleich.
»Sie können bis zum Ende des Halbjahrs an der Schule bleiben, Miss Winters, aber ich denke, wir können uns beide darauf verständigen, dass Sie nicht mehr auf die Barnard- Highschool passen, so wie die Barnard nicht für Sie passt.«
»Ich bin Ihrer Meinung, Sir. Aber eine Bitte habe ich doch, Sir.«
»Und die wäre?« Er trommelte mit seinen Wurstfingern auf die glänzende Schreibtischplatte, sichtlich genervt, dass ich mich erdreistete, noch etwas zu fordern.
»Ich möchte höflichst darum bitten, Sir, dass Desmond Granger nicht in meiner unmittelbaren Nähe sitzt, Sir.«
Direktor Dandridge atmete hörbar aus. »Schön.« Er richtete einen Bleistift auf mich. »Aber ich warne Sie, Miss Winters, das ist der letzte Gefallen, den ich Ihnen tue.«
Am liebsten hätte ich über seine Wortwahl laut gelacht. Desmond von mir fernzuhalten war eine Notwendigkeit, kein Gefallen.
In der Mittagspause wanderte ich durch die Parkanlage und hielt Ausschau nach Benjamin Mpatha, aber er war nirgends zu finden. Ich ging ins Sekretariat und erkundigte mich bei Miss Allison, ob sie wisse, wo er sei. Sie blickte mich aber nur verständnislos an und fragte, warum ich ausgerechnet den Schulgärtner suchte.
»Er berät mich in gärtnerischen Fragen«, erklärte ich. »Ich mache gerade ein Experiment in Naturwissenschaft, dafür baue ich ein spezielles Wintergemüse an.«
Zufrieden mit meiner lächerlichen Antwort, teilte sie mir mit, dass man ihm wegen des Todesfalls in seiner Familie freigegeben habe. Als ich nickte und lächelnd das Sekretariat verließ, ging ein verblüffter Ausdruck über ihr verkniffenes Gesicht. Doch die Vorstellung, dass Benjamin jetzt bei seiner Tochter sein konnte, um gemeinsam mit ihr um die kleine Sophia zu trauern, hob meine Stimmung enorm.
Janice und Clive blickten auf ihre Füße, als ich auf dem Flur an ihnen vorbeiging, doch als ich mich in Mathe auf meinen Platz setzte, entdeckte ich, dass in dem unbenutzten Tintenfass ein Zettel mit meinem Namen steckte. Ich rollte das Papier auseinander und strich es auf dem Schoß glatt, um es unauffällig zu lesen.
Ruby,
du wirst wahrscheinlich nie mehr mit mir sprechen wollen, und das ist ganz in Ordnung so, weil ich dir keine gute Freundin war. Du sollst aber wissen, dass mir die Sache mit Desmond leidtut, er hat unsere Freundschaft zerstört, und er hat versucht, dich von der Schule weisen zu lassen. Ich hoffe, du wirst an deiner neuen Schule mehr Glück haben. Bitte ruf mich an, wenn du mal wieder eine Samstags-Shoppingtour in Hillbrow machen willst wie in alten Zeiten. Meine Nummer hast du ja.
Monica
Ich faltete den Zettel ordentlich zusammen und steckte ihn in meine Schultasche. Ich spürte nur Gleichgültigkeit, ihre Worte berührten mich nicht. »Wie in alten Zeiten«, was sollte das! Vor ewigen Zeiten, meinte sie wohl. Ich konnte mich an die unbeschwerten belanglosen Unternehmungen, bei denen wir früher unseren Spaß gehabt hatten, kaum mehr erinnern. Das lag alles unter einem Berg zerstörter und vermoderter Hoffnungen begraben. Es war höchst unwahrscheinlich, dass ich Monica jemals wieder anrufen würde. Desmond war nicht schuld am Ende unserer Freundschaft. Das war allein ihre Entscheidung gewesen.
Den halben Tag lang machte ich mir Sorgen um Julian. War er verletzt, oder folterte man ihn vielleicht sogar? Durfte er Besuch haben? Ich wusste, dass Vater wahrscheinlich schon dabei war, eine Verteidigungsschrift aufzusetzen, um ihn freizubekommen. Trotzdem wurde mir ganz übel, wenn ich mir Julian hinter Gittern vorstellte.
Ich wäre so gern mit Johann zusammen gewesen, um für ein paar Stunden alles zu vergessen. Ich sehnte mich nach seinen Armen, die mich festhielten und mir das Gefühl von Sicherheit gaben. Ich zählte die Minuten, die sich mühselig bis zur letzten Stunde
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