Die Farben der Freundschaft
die Augen. Ich sah ihm zu, wie er zu seiner Schubkarre zurückschlurfte und sie mühsam wieder aufrichtete.
Als ich mich dem Ausgang zuwandte, hatte ich plötzlich das Gefühl, dass ich noch ein letztes Mal zu ihm hinüberschauen musste. Dort stand Benjamin Mpatha, zwischen all dem, was er hütete und pflegte, die majestätischen Bäume, die üppig grünen Rasenflächen, die bunte Vielfalt der Blumen. Ich sah, wie er das Gummiband seines Strohhuts unter dem Kinn zurechtschob, eine Bewegung, die er schon tausendmal gemacht hatte und die er noch tausendmal wiederholen würde. Ich wusste, dass er sich weiterhin um diesen Park kümmern und dessen Schönheit pflegen würde, bis ihn seine schwachen Beine nicht mehr tragen würden.
Er musste meinen Blick gespürt haben, denn er sah auf, und dann hob er langsam die Hand und winkte. Ich winkte zurück. Diesen Augenblick wollte ich für immer festhalten, genau diese Sekunde, und wie einen letzten Schnappschuss speichern: die Erinnerung an den einzigen Menschen an der Barnard-Highschool, der mir wirklich etwas bedeutet hatte, dieser alte Gärtner, der da zwischen den abgeschnittenen Zweigen und Blumen stand, die verstreut im Gras lagen und darauf warteten, von seinen alten behutsamen Händen aufgesammelt zu werden.
27
AN diesem Abend stand bei uns das Telefon nicht still. Mutter und Vater sprangen abwechselnd vom Esstisch auf, um an den Apparat zu gehen. Für mich war nur ein Anruf dabei, am frühen Abend, es war Johann, der hastig sprach und sagte, wir müssten uns am nächsten Tag unbedingt treffen, es sei sehr wichtig. Ich versuchte, ihm zu entlocken, was es denn so Dringliches gäbe, aber er sagte nur: »Morgen. Bis dahin pass gut auf dich auf, Schatz.« Beim Abendessen brachte ich das panierte Hähnchen mit Kartoffelbrei kaum hinunter – es blieb mir im Hals stecken. Durchlass blockiert.
»Offenbar ist Julian aus Johannesburg rausgekommen.« Mit diesen Worten kam Vater nach einem besonders langen Telefonat an den Tisch zurück. Mutter nickte. Ich sah, dass auch sie das Essen kaum angerührt hatte.
»Gut. Wollen wir hoffen, dass er es über die Grenze nach Mosambik schafft«, sagte sie leise und stocherte geistesabwesend mit der Gabel auf dem Teller herum.
Vater setzte sich auf seinen Platz und aß, anders als Mutter und ich, genüsslich und mit Appetit. Es schien, als hätten die Unruhen und ihre Nachwirkungen seine Hoffnung und seinen Optimismus neu beflügelt. Der harte bittere Zug um seinen Mund war verschwunden. Zwischen Gabeln mit Kartoffelbrei sprach er davon, dass der ANC bereit sei, »an die Grenzen zu gehen«, und der Wandel schneller kommen würde, als wir alle gedacht hätten.
»Frieden für unsere Zeit!« Er fuhr sich mit einer Leinenserviette über den Mund. »Der Ausspruch von Neville Chamberlain, 1938. Bringen sie euch solche Dinge in der Schule bei, Ruby?«
Bei dem Wort »Schule« fuhr ich buchstäblich zusammen. Ich schüttelte den Kopf.
»Ach ja, Schule, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte Mutter beiläufig, doch ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie es ganz und gar nicht vergessen hatte. »Direktor Dandridge hat heute Nachmittag in der Galerie angerufen, er wollte mich sprechen. Ein Junge namens Desmond und sein Vater verlangen offenbar, dass Ruby von der Schule verwiesen wird.«
Vater verschluckte sich fast an dem Hähnchenstück, das er gerade im Mund hatte. Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.
»Reg dich nicht auf, David.« Mutter hob die Hand, um ihn zu besänftigen. Ich saß kreidebleich und sprachlos da. »Dieser eingebildete Junge hat unsere Tochter übel beschimpft, er hat eine ganze Klasse gegen sie aufgehetzt, Johann auf dem Ball zusammengeschlagen, und vor allem hat er es Ruby unmöglich gemacht, länger an der Schule zu bleiben. Diese reizenden Tatsachen habe ich alle Direktor Dandridge aufgezählt, aber der hat ein so dickes Fell, dass kein Wort von mir durchdrang.«
Ein trotziges kleines Lächeln zeigte sich auf Mutters Gesicht. »Ich habe Direktor Dandridge also gesagt, sollte er den Forderungen dieser Eltern nachgeben, die zufällig die größten Geldgeber der Schule sind, könne er davon ausgehen, dass wir Anzeige erstatten gegen diesen schlecht erzogenen Jungen ohne alle Manieren, und zwar wegen unbefugten Betretens unseres Grundstücks und wegen Belästigung unserer Tochter.« Mutter tupfte sich die Mundwinkel an ihrer Serviette ab und sah nun mich an. »Ich hoffe, das ist dir recht, Ruby«,
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