Die Farben der Freundschaft
Ihre Hände waren so klein und zierlich wie die einer japanischen Porzellanpuppe.
»Ruby, du siehst schlimm aus …«
»Ja, ja, danke.« Ich sah blinzelnd zu ihr auf.
»Thandi!«, rief Mutter mit ihrer angenehmen Singsang-Stimme in Richtung Galerieküche. »Sei so lieb und bring Ruby eine Limonade, ja?«
»Schon unterwegs, Madam«, hallte Thandis Stimme durch die weitläufigen Räume.
Die zweiköpfige Belegschaft der Galerie arbeitete schon seit vielen Jahren für Mutter. Die beiden waren wie Familienmitglieder für mich. Sie hatten meine Entwicklung begleitet und mich heranwachsen sehen, seit ich sitzen und – sehr zum Entsetzen meiner Mutter – mit Buntstiften die Galeriewände vollkritzeln konnte. Dashel hatte meine erste künstlerische Äußerung ein »herausragendes, vom Kindergarten inspiriertes Wandgemälde« genannt.
» Hai , du siehst aber mal schlimm aus, Miss Ruby!« Thandi pfiff durch die zwei Lücken in ihrem Mund, an deren Stelle sich die Schneidezähne hätten befinden müssen.
»Danke.« Ich griff nach dem Glas. »Das hat Mutter auch schon gesagt.«
Ich trank einen Schluck von der prickelnden Limo, die erfrischend kühl durch meine Kehle rann, und erst nach dem letzten Tropfen wurde mir klar, wie durstig ich gewesen war. Drei Augenpaare hingen mit übergroßer Fürsorge an mir.
»Mir scheint, unsere junge Lady blüht schon wieder ein bisschen auf.« Dashel kehrte mit einer triumphierenden Geste hinter seinen Schreibtisch zurück und setzte sich.
» Yirra, aber zu dünn siehst du mir aus, Miss Ruby. Weiß Gott!« Thandi war eine grobknochige Cape coloured mit widerborstigen Haaren, die sie in einzelne Büschel unterteilt und mit glänzenden Stoffstreifen zusammengebunden hatte, sodass sie wie kleine Heubündel vom Kopf abstanden. So trug sie ihr Haar schon, seit sie vor etwa zehn Jahren angefangen hatte, für Mutter zu arbeiten. »Gemischtrassig« zu sein war schlimm genug, aber in Johannesburg eine Cape coloured zu sein war noch schlimmer – es sei denn, man war Thandi, durfte in dem großen Hinterzimmer der Galerie wohnen und hielt als Gegenleistung für freie Unterkunft die Räume in Ordnung. Im Allgemeinen wurden die Cape coloured von Schwarzen wie von Weißen gleichermaßen verachtet. Als Mischlinge gehörten sie weder der einen noch der anderen Gruppe an. Sie waren in vielerlei Hinsicht ein verlorenes Volk. Sie pflegten ihren eigenen, sonderbaren Jargon, eine Mischung aus Englisch, Afrikaans und Eingeborenendialekten, und viele waren Alkoholiker. Die meisten von ihnen lebten in der Gegend um Kapstadt, aber Thandi hatte sich in einen Sotho-Hafenarbeiter verliebt – er hieß Hendriks –, und als herauskam, dass er für den Aufenthalt am Kap keine gültigen Papiere besaß, war sie ihm nach Johannesburg gefolgt. Bevor die Polizei ihn schnappen konnte, floh er weiter, Thandi immer hinter ihm her.
»Ein bliksem war er! Ein tsotsie ! Ein Taugenix!«, zischte und zeterte sie durch ihre Zahnlücke, wenn jemand sie nach Hendriks fragte. »Teufel auch, mein ganzes Geld hab ich ausgegeben für Fahrten auf den Ladeflächen von stinkenden Lastwagen, damit die ons nur ja hierher mitnehmen!« Dann schüttelte sie jedes Mal den Kopf so heftig, dass ihre Haarbüschel wild gegeneinanderwippten, als wären sie in einen gewaltigen Hurrikan geraten.
Wir hüteten uns, ausführlicher nach dem Mann zu fragen, der sie an ihrem ersten Tag in der »Goldenen Stadt« verlassen hatte – buchstäblich und mitten auf einer verkehrsreichen Kreuzung. Doch zum Glück für Thandi war es zufällig die Kreuzung gewesen, an der Mutters Galerie lag.
»Ruby, Liebling!« Mutter kniete neben mir nieder. »Was ist los?«
»Verliebt ist sie«, verkündete Dashel.
Ich sprang auf und stieß Mutter dabei fast um. »Bin ich nicht! Ich hab dir doch gesagt, Dashel, dass ich ihn nicht ausstehen kann!«
»Ruby, nicht so laut!« Mutter wischte über ihr Kleid und richtete sich zu ihrer zierlichen Größe von einem Meter zweiundfünfzig auf.
»So viel Leidenschaft, Schätzelchen … es ist nur ein schmaler Grat zwischen Liebe und Hass. Glaub mir, Onkel D kann ein Lied davon singen.« Dashel legte eine Hand an sein jung gebliebenes Herz.
» Yirra , du bist mir heut aber eine Hitzige! Scharf wie Piri- Piri-Soße.« Thandi befeuchtete ihren Zeigefinger, legte ihn an meine Wange und zog ihn dann hastig zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Tztztz!«
»Warum versteht mich bloß keiner?« Meine Stimme klang müde und
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