Die Farben der Freundschaft
zittrig.
»Komm.« Mutter ging mit mir aus Dashels Büro. »Also wirklich, ihr solltet es besser wissen, ihr beide!« Sie warf ihnen einen vernichtenden Blick zu. Ich folgte ihren kleinen leichtfüßigen Schritten zu ihrem Büro, einem Oval aus Wärme und leuchtenden Farben.
Nachdem ich es mir auf ihrer übergroßen apricotfarbenen Couch bequem gemacht hatte, erzählte ich ihr, wie elend ich mich in der Schule gefühlt hatte – wegen Desmond. Eigentlich hatte ich ihr auch sagen wollen, dass er gedroht hatte, heute Abend uneingeladen bei uns aufzukreuzen, aber ich fand, dass sie im Augenblick ohnehin schon genug Sorgen hatte. Ich würde mich mit dieser Horrorsituation auseinandersetzen, wenn es so weit wäre.
»Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn Leute versuchen, einem das Leben schwer zu machen. Vorsätzlich.« Das letzte Wort sagte sie langsam, als fiele ihr jede Silbe schwer. »Der Journalist von Die Vaderland wollte, dass ich zugebe, dass es ein Vergehen sei, Künstler illegal nach Sandton kommen zu lassen. Wie lachhaft!« Sie fuhr sich durch ihr feines blondes Haar. »Es ist doch einfach absurd, dass man auf dieser Seite der Rulin Road in Sandton ist, auf der anderen Straßenseite dagegen in Johannesburg.« Sie sah mich aus ihren hellblauen Augen an. »Ich habe dem Reporter gesagt, die Polizei sollte eigentlich Wichtigeres zu tun haben, als sich auf der Straßenseite der Galerie auf die Lauer nach meinen Künstlern zu legen, die gültige Pässe für Johannesburg haben, aber keine für Sandton.«
»So haben sie Kumalo letztes Mal geschnappt, Mutter, nicht wahr?«
Sie seufzte und trommelte mit den Fingern auf ihren rot lackierten Schreibtisch. »Ja. Sie haben ihn verhaftet, als er die Straße überquerte.« Sie schlug hart mit der Hand auf den Tisch. »Diese Idioten! Kann schon sein, dass es zwischen Liebe und Hass nur einen schmalen Grat gibt, ich weiß es nicht. Aber dass mitten auf dieser Straße hier eine schmale Grenzlinie verläuft und dass wir uns auf der gefährlichen Seite befinden, das weiß ich genau.«
»Ich bin froh, dass du Kumalo nach Kapstadt geschickt hat. Was ist mit Julian?«
»Ah, Julian! Er darf nie direkt von der Bushaltestelle zur Galerie laufen. Viel zu riskant jetzt.« Sie blätterte in dem Poststapel, der sich auf ihrem Tisch angesammelt hatte. »Und was nun diesen Jungen betrifft … egal, ob du ihn liebst oder hasst, Ruby. Wichtig ist, dass du ihm nicht die Macht gibst, dir den Tag zu verderben oder dich so weit zu bringen, dass du nicht mehr gerne zur Schule gehst. Dann nämlich hätte er gewonnen.« Mit einem spitzen Fingernagel schlitzte sie einen großen blauen Briefumschlag auf. »Lass ihn nicht gewinnen, Ruby!« Sie warf den leeren Umschlag in einen Papierkorb und lächelte mir zu. »Schließlich bist du meine Tochter und über uns Winters-Mädchen kriegt keiner die Oberhand. Weder neugierige Journalisten noch unverschämte, verzogene Jungen.« Sie zwinkerte mir mit ihren langen Wimpern zu.
5
ES gibt bestimmte Augenblicke in meinem Leben, die ich abrufen kann, auf die ich zurückblicken und sagen kann: Ah ja, genau dieser Tag war es, diese Situation, exakt dieser Moment, als alles eine bestimmte Richtung nahm und sich mein Leben und das meiner Familie für immer verändert hat. Dieser Abend war ein solcher Moment. Alles, was danach geschah, führte uns auf einen Lebensweg, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Später habe ich mich oft gefragt, ob ich mir vielleicht gewünscht hätte, dass es anders gekommen wäre – hätte ich damals geahnt, welche Tragweite die Ereignisse dieses Abends haben würden. Hätte irgendjemand irgendetwas sagen oder tun können, das den Gang der Ereignisse in eine andere Richtung gelenkt hätte? Meine Antwort darauf ist immer ein eindeutiges Nein gewesen.
Zwei Dinge passierten, und beide kündigten sich durch ein Klopfen an unserer großen Eichenholztür an. Wobei das erste weniger ein Klopfen war, sondern mehr ein hektisches Kratzen wie von einem Huhn, das mit seinen spitzen Krallen über Holzdielen scharrt. Mutter stand auf und ließ Vater und mich vor unseren halb geleerten Tellern mit Cottage-Pie und Kürbis sitzen. Es war acht Uhr, ich hörte das tiefe schwere Schlagen der Standuhr in der Diele. Vater schob hastig seinen Teller zurück, warf seine weiße Leinenserviette auf das frisch gestärkte Tischtuch und sprang auf.
»Annabel, warte!« Er lief ihr nach. »Lass mich gehen … wie konnte denn jemand durch das Tor kommen um
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