Die Farben der Magie
geworfene Flasche noch immer in der Luft und weigerte sich hartnäckig, zu Boden zu fallen. In ihrem Fall war die Zeit – nun, nicht direkt stehengeblieben, aber sie hatte sich um einige Größenordnungen verlangsamt. Aus Rincewinds und Zweiblums subjektiver Perspektive flog sie schon seit einigen Stunden, ohne dabei mehr als einige wenige Zentimeter zurückzulegen. Das Glas glänzte im Mondschein. Der Zauberer seufzte und versuchte, es sich an der Wand bequem zu machen.
»Warum bist du nie besorgt?« erkundigte er sich trotzig. »Morgen früh sollen wir irgendeinem Gott geopfert werden, und du sitzt dort herum und ißt Entenmuscheln.«
»Bestimmt kommt alles in Ordnung«, sagte Zweiblum.
»Ich meine, man hat uns nicht einmal mitgeteilt, warum wir sterben sollen«, fuhr der Zauberer fort.
Du möchtest gern Bescheid wissen, wie?
»Hast du das gesagt?« wandte sich Rincewind an Zweiblum. »Was denn?«
Du hörst Stimmen, flüsterte die Stimme hinter Rincewinds Stirn. Ruckartig drehte er sich um. »Wer bist du?« fragte er scharf. Der Tourist musterte ihn verwirrt. »Ich bin Zweiblum. Erinnerst du dich?«
Rincewind preßte sich die Hände an die Schläfen.
»Jetzt ist es soweit«, ächzte er. »Ich verliere den Verstand.«
Gut, hauchte die Stimme im Kopf des Zauberers. Dann gibt's hier drinnen hoffentlich mehr Platz.
Jene Magie, die Rincewind an der Wand festhielt, verflüchtigte sich mit einem leisen Plopp. Er stürzte und fiel auf den Teppich.
Vorsichtig – du hättest mich fast zerquetscht.
Rincewind stemmte sich auf den Ellbogen hoch und griff in eine Tasche seines Umhangs. Als er die Hand daraus hervorzog, hockte der grüne Frosch darauf, dessen Augen im Halbdunkel seltsam glühten.
»Du?« entfuhr es dem Zauberer.
Setz mich auf den Boden und tritt zurück. Der Frosch blinzelte. Rincewind kam der Aufforderung nach und schob den verwunderten Zweiblum aus dem Weg.
Es wurde noch dunkler im Zimmer. Etwas zischte, fauchte und donnerte. Eine grüne, purpurne und oktarine Wolke entstand aus dem Nichts, rotierte und näherte sich der reglosen Amphibie. Kleine Blitze zuckten daraus herab. Bald darauf verschwand der Frosch in goldenem Dunst, der sich nach oben hin erweiterte und das ganze Zimmer mit einem warmen gelben Licht füllte. In dem Nebel zeichnete sich eine dunkle undeutliche Gestalt ab; ihre Umrisse zitterten und wogten. Die ganze Zeit über erklang das hirnzerreißende schrille Heulen eines magischen Kraftfelds.
Von einem Augenblick zum anderen verschwand der thaumaturgische Tornado. Dort, wo eben noch ein Frosch gesessen hatte, saß nun ein Frosch.
»Phantastisch«, murmelte Rincewind.
Der Frosch warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Wirklich bemerkenswert«, kommentierte Rincewind. »Ein Frosch, der sich auf magische Weise in einen Frosch verwandelt. Verblüffend.«
»Dreh dich um«, sagte jemand hinter ihm. Es war die sanfte, fast einladende Stimme einer Frau – eine Stimme, mit der man das eine oder andere Glas Wein hätte trinken können. Aber sie erklang an einer Stelle, wo es eigentlich gar keine Stimme geben durfte. Rincewind und Zweiblum wandten sich um, ohne die Beine zu bewegen; sie wirkten wie Statuen, die sich auf einem Sockel drehten.
Eine Frau stand im ersten matten Glühen der Morgendämmerung. Sie sah aus wie… Sie war… Sie hatte… Um ganz genau zu sein, sie…
Später wichen Rincewinds und Zweiblums Beschreibungen der Frau stark voneinander ab. Nur in einem Punkt waren sie sich einig: Die Fremde verdiente es, als schön bezeichnet zu werden – obwohl die beiden Männer nicht wußten, welche körperlichen Merkmale den Eindruck von Schönheit hervorriefen. Hinzu kamen grüne Augen. Es handelte sich nicht um das blasse Grün normaler Augen, sondern um das kostbare satte Grün von geschliffenen Smaragden, und außerdem ging ein libellenartiges Schillern davon aus. Einige der wenigen magischen Tatsachen, die Rincewind kannte, bestand darin, daß Götter weder die Farbe noch die Beschaffenheit der Augen verändern konnten, so geschickt sie in anderen Dingen auch sein mochten…
»Gl…«, begann der Zauberer. Sie hob die Hand.
»Wenn du meinen Namen aussprichst, muß ich euch verlassen«, sagte sie sanft. »Du weißt sicher, daß ich die einzige Göttin bin, die nur kommt, wenn man sie nicht ruft.«
»Äh, ja«, krächzte Rincewind und versuchte, ihr nicht in die Augen zu sehen. »Davon habe ich gehört. Glaube ich jedenfalls. Man nennt dich Lady, nicht wahr?«
»Ja.«
»Du
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