Die Farben der Sehnsucht
sich dem Tisch im hinteren Bereich des Ladens näherte, bevor alle aus ihren Verstecken hervorsprangen und: „Überraschung!“ schrien.
Ich zuckte die Schultern. „Was meinst du?“
„Hier ist niemand“, erwiderte Alix und klang verwundert.
„Colette und Susannah kommen in ein paar Minuten.“ Tatsächlich waren sie unter den ersten Gästen gewesen. Sie hatten einen Großauftrag, der an diesem Abend noch ausgeliefert werden musste, und es war ein echtes Opfer für sie, überhaupt mit dabei zu sein. Doch keine von beiden wollte sich Alix’ Brautparty entgehen lassen.
Alix rührte sich noch immer nicht.
„Geh schon mal nach hinten“, schlug ich vor und deutete hinter mich.
Alix warf mir einen verdutzten Blick zu, und ich war mir sicher, dass ich – trotz meiner Bemühungen – die Überraschung irgendwie verraten hatte.
Sie ging an den Regalen mit der Wolle vorbei …
… und in dem Moment sprangen alle hervor, um zu jubeln.
Äußerst zufrieden stellte ich fest, dass Alix ehrlich verblüfft war.
Ihr Mund stand offen, und sie drehte sich langsam um und musterte jeden einzelnen der Gäste.
Auf dem Tisch türmten sich die Geschenke und das Essen, und alle drängten sich um Alix, um ihr zu gratulieren und das Beste zu wünschen.
Alix hatte immer behauptet, dass sie nicht wüsste, wie sie sich in solchen Situationen verhalten solle. Doch nachdem ich sie bei dieser Brautparty erlebt hatte, war ich da anderer Meinung. Sie war entzückend und dankte ihren Freunden aus tiefstem Herzen für die Geschenke. Die meisten Mitbringsel waren praktisch und wohlüberlegt gewählt, doch es waren auch einige lustige Präsente dabei. Das Geschenk meiner Schwester – ein Toaster – war so praktisch wie Margaret selbst. Ich schenkte Alix einen Gutschein für Wolle.
Mein Lieblingsgeschenk war allerdings ein großes T-Shirt mit einem Bild von Shakespeare auf der Vorderseite, der einen Ärmel strickte.
„Das ist der ‚raveled sleeve of care‘.“ Elise lächelte und setzte zu einer Erklärung an. „Eigentlich wollte Shakespeare zum Ausdruck bringen, dass man im Schlaf Ruhe findet. Die Verwirrung, die der Mensch vor dem Zubettgehen empfunden hat, löst sich im Schlaf auf. Diese Verwirrung ist ähnlich wie bei einem Wollknäuel, das durcheinandergeraten ist und bei dem man Anfang und Ende nicht erkennen kann.“ Sie räusperte sich. „Um in diesem Bild zu bleiben: Der Schlaf lockert und entwirrt sozusagen den verwickelten Faden und strickt ihn quasi zu einem geordneten Ganzen, zu einem gleichmäßigen Muster.“ Elise blickte in die Runde. „Nicht umsonst sagt man ja auch: ‚Schlaf drüber. Am nächsten Morgen sieht die Welt ganz anders aus.‘ – So wollte Shakespeare sich verstanden wissen. Durch einen Übersetzungsfehler wurde aus dem ‚verworrenen Wollknäuel‘ – sleave –, das der Schlaf zu einem geordneten Ganzen stricken soll, allerdings ein ‚Ärmel‘ – ein sleeve“, erklärte Elise, die früher einmal Bibliothekarin gewesen war. „Ist das nicht eine reizende Metapher? Das Zitat stammt aus Macbeth. “
„Mit anderen Worten: Stricken ist zum Einschlafen“, scherzte Maverick.
Alix lachte und umarmte die beiden.
Gegen Abend löste die Party sich allmählich auf, und die Gäste machten sich nach und nach auf den Weg nach Hause. Bethanne musste früher gehen, weil sie noch einen „Termin“ hatte – ich wette, dass hinter diesem „Termin“ ein Date steckte, doch ich fragte sie nicht danach. Ich wusste, dass sie jemanden kennengelernt hatte und war begierig darauf, Details zu hören. Zwar hätte ich Annie fragen können, die noch dageblieben war, um das Dekomaterial fortzuräumen, aber ich vermutete, dass Bethanne selbst sich mir anvertrauen würde, wenn sie so weit war. Ich konnte warten.
Auf einmal sah ich Margaret, die sich angespannt mit Alix unterhielt, und fragte mich, worum es gehen mochte. Meine Schwester wirkte nicht glücklich – es war offensichtlich, dass sie gerade nich t dabei war, Alix zur bevorstehenden Hochzeit zu gratulieren. Kurz darauf ging Alix weiter, um sich mit jemand anderem zu unterhalten, und bevor ich mich versah, war Margaret, ohne Bescheid zu sagen, einfach verschwunden.
Colette und Susannah kehrten in den Blumenladen zurück, um Arrangements für ein Beerdigungsunternehmen zusammenzustellen. Erst kürzlich hatte Susannah die Firma als Kunden gewinnen können.
Und Elise und Maverick brachen, kurz nachdem die Geschenke ausgepackt und die Köstlichkeiten
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