Die Farben der Sehnsucht
musste das Problem erst aus allen Blickwinkeln betrachten, unterschiedliche Möglichkeiten und Lösungen in Betracht ziehen und überdenken. Nicht so Brad. Er wollte nach vorn preschen und gleich mit Matt reden. Einerseits war ich dankbar, dass ich diese Last nicht mehr allein tragen musste. Doch andererseits war ich mir nicht sicher, ob es richtig war, Matt und Margaret zur Rede zu stellen.
Brad klärte die Angelegenheit mit einer einzigen Frage. „Möchtest du, dass deine Schwester ihre Absichten wahr macht?“
„Nein, aber …“
„Sie wird es tun, Lydia.“
Ich wusste, dass er recht hatte. Je länger wir warteten, desto wahrscheinlicher wurde es, dass Margaret jemanden zum Begehen dieses Verbrechens engagierte.
Glücklicherweise war Cody zu seinem Freund Zack gegangen, der in derselben Straße wie wir wohnte. Seine Mutter war gern bereit, ihn für eine weitere Stunde zu beaufsichtigen.
Während wir zum Haus meiner Schwester fuhren, bat ich Brad, bei dem Gespräch das Reden zu übernehmen. Ich hatte Angst. Margaret fühlt sich sehr schnell angegriffen. Und ich wusste, dass sie wütend sein würde, weil ich mich in Angelegenheiten gemischt hatte, die mich ihrer Meinung nach nichts angingen.
Ich stellte mir vor, wie sie explodierte, ihren Job hinwarf und mir die Verwandtschaft kündigte. Es würde mich niederschmettern. Ich neigte dazu, mir immer das Schlimmste auszumalen. Diese Eigenschaft besaß ich auch schon vor meiner Krebserkrankung. Ich finde sie beängstigend, unproduktiv und verwirrend – aber ich kann nichts dagegen tun. Als ich nun darüber nachdachte, konnte ich kaum ein Seufzen unterdrücken. Ich stand kurz davor, meiner Schwester entgegenzutreten und die Beziehung aufs Spiel zu setzen, die mir – abgesehen von meiner Beziehung zu meinem Mann und meinem Sohn – am meisten bedeutete. Doch ich hatte keine Wahl. Plötzlich wollte ich nur noch weinen.
Für Brad war ich ein offenes Buch. Als wir den Wagen vor dem Haus meiner Schwester abgestellt hatten, nahm er sanft meine Hand. „Es wird alles gut laufen“, versicherte er mir. „Mach dir keine Sorgen, ja?“
Ich hoffte, dass er recht behalten würde.
Matt schob die Fliegengittertür auf, bevor wir die oberste Stufe erreicht hatten. Er ist ein kräftiger Mann, groß und nun, da er auch nicht mehr der Jüngste ist, schon etwas voller um die Taille. Ich erinnere mich noch gut daran, als meine Schwester in der Highschool begann, sich mit ihm zu verabreden. Damals war ich selbst ein bisschen verliebt in ihn. Margaret hatte eine gute Wahl getroffen. Ich mochte und bewunderte Matt.
„Das ist aber eine nette Überraschung“, begrüßte Matt uns und führte uns ins Haus. Er küsste mich auf die Wange und schüttelte Brad die Hand.
Mit einem Geschirrtuch, das sie achtlos über die Schulter geworfen hatte, kam Margaret aus der Küche. Argwöhnisch blickte sie uns an. „Was wird das hier?“, fragte sie.
„Setzt euch.“ Mein Schwager deutete auf das Sofa und ig norierte Margarets unfreundliche Begrüßung. Er stellte den Fernseher aus und bot uns – gastfreundlich wie immer – einen Drink an.
Wir lehnten dankend ab. Brad und ich saßen eng beieinander auf dem Sofa. Ich legte meine gefalteten Hände auf meine Knie und wartete darauf, dass mein Ehemann das Wort ergriff.
„Ich hoffe, ihr verzeiht uns unseren überfallartigen Besuch“, begann Brad.
„Natürlich“, erwiderte Matt und warf Margaret einen vielsagenden Blick zu. „Ihr seid jederzeit herzlich willkommen.“
Zögerlich ließ sich meine Schwester auf einen breiten Sessel neben Matt sinken. In einem Weidenkorb neben ihr lag ihr Strickzeug. Ich erkannte das Muster – es war der Gebetsschal, den der Kurs zusammen gestrickt hatte. Alle, sogar Colette, hatten ihren Schal fertiggestellt. Alle – außer Margaret.
„Lydia hat mir heute von einem Vorfall erzählt, der ihr Sorgen bereitet und euch betrifft“, sagte Brad. „Am besten erklärt sie es euch selbst.“
Matt und Margaret sahen mich erwartungsvoll an. Ich blickte zu Brad, wollte, dass er weitersprach. Doch offensichtlich blieb es an mir hängen. Ich beugte mich etwas zu meiner Schwester herüber und flehte sie stumm an, mir zu vergeben.
„Alix kam neulich zu mir“, begann ich nach einem kurzen Moment des Schweigens.
Sobald Alix’ Name gefallen war, verschränkte Margaret die Arme vor der Brust und wandte den Blick ab.
„Du weißt, was sie mir erzählt hat, nicht wahr?“, fragte ich sanft.
Matt sah seine Frau
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