Die Farben der Sehnsucht
finden und ihr Leben wieder seinen normalen Gang nehmen würde. Margaret suchte die Bestätigung, dass der Überfall auf ihre Tochter deren Leben nicht dauerhaft beeinträchtigen würde. Würde Julia irgendwann wieder eine Nacht durchschlafen, wieder lachen und einfach sorglos sein können? Margaret wollte Frieden . Den Frieden, den nur eine Mutter ihrem verletzten Kind geben konnte – den Frieden, den auch sie ihrer eigenen Tochter geben wollte.
„Das Hühnchen ist fertig“, sagte Brad, der von der Terrasse in die Küche kam. Es hatte zu regnen begonnen, was keine Überraschung war, denn es hatte das ganze Wochenende immer mal wieder kleine Schauer gegeben. Die Hühnchenbrüste dufteten würzig und verführerisch. Brad hatte sie in einer Mischung aus Sojasoße, italienischem Salatdressing und Kräutern eingelegt – eine Mischung, die er wahrscheinlich so nie wieder hinbekommen würde.
Wir setzten uns an den Tisch, und nachdem Brad ein einfaches Tischgebet gesprochen hatte, reichte ich die Servierschüsseln herum.
Matt griff begeistert zu. „Das schmeckt großartig“, brachte er zwischen zwei Bissen hervor. Noch bevor er den Kartoffelsalat auf seinem Teller ganz aufgegessen hatte, nahm er sich bereits einen Nachschlag.
„Ich habe in letzter Zeit nicht besonders oft gekocht“, gab Margaret zu und wirkte ein bisschen verlegen, als sie sah, wie enthusiastisch ihr Mann auf das Essen reagierte.
„Du hattest viel zu tun“, sagte ich, um ihre Bemerkung abzutun.
„Ja, sie treibt die Polizei in den Wahnsinn“, sagte Matt.
Margaret funkelte ihn über den Tisch hinweg wütend an. Ich sah zu Brad, und wir verzogen verzweifelt das Gesicht. Wir hatten gehofft, genau dieses Thema vermeiden zu können. Margaret war während des Essens zweimal verschwunden, um mit dem Handy zu telefonieren. Ich wusste, dass sie Julia anrief, um sich nach ihr zu erkundigen. Es war wohl nicht nur die Polizei, die sie mit ihrem Verhalten allmählich in den Wahnsinn trieb.
„Ich dachte, wir wollten nicht über den Überfall reden“, sagte sie spitz und blickte ihren Ehemann an.
Ich bemerkte, dass Margaret ihr Essen kaum angerührt hatte.
Matt seufzte, und echtes Bedauern schwang in seiner Stimme. „Du hast recht. Es tut mir leid.“
Da Matt das Thema nun schon einmal aufgebracht hatte, dachte Margaret nicht daran, es gleich wieder fallen zu lassen. „Die Polizei scheint nicht einmal zu versuchen , etwas zu tun. Für die Behörden ist das alles keine große Sache. Sie nehmen es einfach nicht ernst.“
Matt hob abwehrend die Hand. „Bitte, Margaret …“
„Streite dich nicht mit mir, Matt“, unterbrach sie ihn. „Ich setze mich schließlich mit der Polizei auseinander. Und ich sage dir, dass das, was Julia zugestoßen ist, unter den Teppich gekehrt wird.“
„Möchte jemand einen Kaffee?“, fragte ich – es war ein unverhohlener Versuch, das Thema zu wechseln.
„Ich hätte gern einen“, sagte Brad schnell.
„Kaffee, Margaret?“ Ich beugte mich vor, um ihren Arm zu berühren.
Margaret nickte ungeduldig. „Ich kann nicht sagen, wie oft ich mit Detective Johnson gesprochen habe“, murrte sie. „Der Mann ist ein Idiot.“
„Margaret“, sagte Matt sanft und versuchte, sie abzulenken und zu beruhigen.
Meine Schwester seufzte schwer. Ich wusste, dass sie uns den Abend nicht verderben wollte. Doch ich wusste auch, dass Julias Schicksal sie unablässig beschäftigte.
Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen – aber sie wollte mehr als nur Gerechtigkeit. Margaret wollte Rache . Der Mann, der ihrer Tochter das angetan hatte, sollte ihrer Meinung nach auf einem öffentlichen Platz aufgeknüpft werden und als abschreckendes Beispiel dort hängen bleiben. Das klang nach tiefstem Mittelalter, doch es war keine Übertreibung. Falls man ihn jemals fassen und vor Gericht stellen sollte, würde sie ganz sicher jede Minute seiner Verhandlung verfolgen und jubeln, wenn der Richter das Urteil verkündete. Ich war genauso empört und wütend wie sie, doch ich hegte nicht diese Rachegefühle. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich wollte , dass der Mann gefunden und in vollem Umfang der gesetzlichen Möglichkeiten abgeurteilt wurde. Und Margaret wollte das ebenfalls. Aber sie wollte darüber hinaus, dass er für das, was er Julia angetan hatte, büßte. Davon war sie besessen.
Ich setzte eine Kanne koffeinfreien Kaffee auf. Während die Maschine lief, gelang es uns, das Essen ohne jeden
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