Die Farben der Sehnsucht
die Botschaften, die Rückmeldungen, die ich als Kind bekommen habe.“
„Ich glaube, ich verstehe.“
„Tammie Lee hat eine ganz normale Bemerkung gemacht und wollte mir damit ein Kompliment machen, das ich aber als Beleidigung auffasste. Das kommt daher, dass ich als Kind immer zu hören bekam, dass ich nicht hübsch wäre. Und so glaubte ich, dass ich nicht schön sein konnte – egal, welche Farbe ich trug. Nicht nur das – ich nahm an, dass Tammie Lee mir damit sagen wollte, dass ich nich t hübsch war, so wie ich in dem Moment aussah.“ Sie atmete tief ein. „Meine Mutter hat mich ganz oft furchtbar beschimpft. Jahrelang hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf – manchmal höre ich sie noch heute. Doch mittlerweile weiß ich, wie ich sie verdrängen kann. Immer wenn ich mich früher daran erinnerte, wie sie Dinge sagte wie: ‚Du bist und bleibst ein Nichtsnutz‘, fiel ich in eine tiefe Depression.“
„Oh, Alix …“
„Das kommt davon, wenn man sich selbst nicht vergeben kann – oder sich selbst nicht lösen kann von den hasserfüllten Beleidigungen und Beschuldigungen. Dann ist es egal, welch wundervolle Dinge deine Mitmenschen dir sagen – du kannst sie nicht glauben.“
Colette schien sie zu verstehen.
„Warum sollte mich irgendjemand lieben?“, fragte Alix rhetorisch. „Wenn ich mir selbst egal bin, warum sollte ich dann Jordan oder irgendeinem anderen Menschen wichtig sein?“
„Ja, aber … In meinem Fall ist es vielleicht besser, die Dinge so zu belassen, wie sie sind“, sagte Colette ruhig. „Da gibt es noch mehr, über das ich nicht reden kann – Dinge, die nicht direkt etwas mit Christian und mir zu tun haben. Ich mag ihn, aber ich kann ihm auf dem Weg, den er gewählt hat, nicht folgen. Ich … will ihm helfen, doch ich kann es nicht. Und deshalb muss ich einfach weg von ihm.“
„Kannst du das?“, stieß Alix hervor. „Kannst du das wirklich?“
Es verging eine Weile, bevor Colette antwortete. „Ich habe keine andere Wahl und dennoch …“
„Und dennoch?“, drängte Alix behutsam. Sie ahnte, dass mehr dahintersteckte, als ihre Freundin ihr anvertraut hatte.
„Ich denke nicht, dass wir jemals vergessen können, was in jener … Nacht geschehen ist.“
„Alles scheint auf diese Nacht zurückzugehen“, murmelte Alix.
Colette hielt einen Moment lang inne und starrte auf das Wasser der Bucht hinaus. „Wir haben nicht verhütet“, flüs terte sie. Alix sah, wie sie schluckte.
„Du bist schwanger?“
Colette nickte, und Tränen schimmerten in ihren Augen. „Ich habe es noch niemandem erzählt … Und ich glaube auch nicht, dass ich es selbst schon vollkommen verstanden habe. Warum ist das Leben so?“ Sie stöhnte auf. „Derek und ich konnten keine Kinder bekommen und dann … eine Nacht mit Christian und …“ Sie ließ das Ende des Satzes unausgesprochen. „Ich habe mir noch nicht genau überlegt, was ich jetzt tue. Natürlich werde ich das Kind behalten. Christian weiß es noch nicht … Jedes Mal, wenn ich versuchte, es ihm zu sagen, schaffte ich es nicht. Im Augenblick ist es vielleicht auch das Beste.“
„Aber Colette, er hat das Recht, es zu erfahren!“
„Ich werde es ihm sagen“, versprach sie und wischte sich die Tränen von den Wangen. „Nur jetzt noch nicht.“
„Der Gebetsschal?“ Mit einem Mal wurde Alix bewusst, dass es kein Schal war, den Colette strickte, sondern eine Babydecke.
„Er ist für das Baby“, sagte Colette. „Für Christians und mein Baby.“
17. KAPITEL
Colette Blak e
Colette betete, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, Alix von der Schwangerschaft zu erzählen. Sie hatte es eigentlich nicht vorgehabt, doch es hatte sich in dem Moment so richtig, so selbstverständlich angefühlt …
Mit jedem Tag wurde es schwieriger, die Neuigkeit zu verbergen. Ihr Instinkt sagte ihr, die Schwangerschaft für sich zu behalten – aus Angst, dass Christian herausfinden könnte, in welchem Zustand sie war.
Ihre Verwirrung und die Scham, die sie empfand, hatten sie bisher davon abgehalten, ihrer Familie und ihren Schwie gereltern von dem Baby zu erzählen. Was sollte sie Dereks Eltern auch sagen? Zum Glück lebten sie in Chicago! Wenigstens würden sie es nicht durch Zufall herausfinden, bevor Colette den Mut hatte, sich ihnen anzuvertrauen – und sie würde sich ihnen anvertrauen. Irgendwann. Sie waren wunderbare Menschen, die ihren Sohn geliebt hatten und die sie liebten. Colette bildete die letzte Verbindung zu
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