Die Farben der Wirklichkeit
Viele verloren darüber ihren Verstand und einige begingen Selbstmord; manche zogen durch die Länder und erzählten den Leuten von ’Sei’ und von der Liebe. In alle Kontinente kamen diese wenigen, trugen die Idee von der Liebe um die Welt und setzten den Samen der Liebe in viele Herzen.
Aber im großen und ganzen ging das Leben unter den Menschen so weiter wie bisher. Nehmen und Geben und all die damit verbundenen Probleme waren weiterhin wichtig. Es gab jetzt viele Kontinente und zahllose Sprachen. Die Menschen hatten den Krieg gelernt und sollten noch viel zu viele führen. Doch nie verloren die Menschen insgeheim die Sehnsucht nach ’Sei’, nach der Liebe, nach einem Paradies, das durch ihre eigene Schuld irgendwann einmal versunken war. Ob die Menschen wissen, daß sie alle ’Sei’ und damit die Liebe in ihren Herzen tragen?
Roland Kübler
Himmel und Hölle
Z u einem der letzten Weisen kam ein einsamer Wanderer, um sich Rat zu erbitten.
„Ehrwürdiger“, sprach er, „ich bin lange gereist und habe viele Länder dieser Erde gesehen. Immer war ich auf der Suche nach Wichtigem. Ich wollte alles ganz genau wissen, habe viel erfahren und entdeckt. Heute komme ich zu Euch, weil ich die Antwort auf eine Frage nicht finden konnte. Vielleicht könnt Ihr mir helfen.“
„Du solltest fragen, wenn du etwas wissen willst“, erwiderte der Weise und lächelte.
„Es mag sein“, fuhr der Mann fort, „daß Ihr die Frage überflüssig findet und sinnlos. Vielleicht langweilt sie Euch auch. Möglicherweise lacht Ihr darüber, weil sie für dieses Leben doch nicht wichtig ist.“
Der Weise schüttelte den Kopf und brummelte: „Ich wundere mich, daß du überhaupt jemals eine Antwort gefunden hast. Bist du dir wirklich sicher, daß du mich etwas fragen willst?“
„Aber ja doch“, sagte der Suchende, „nur aus diesem Grunde habe ich die lange Reise zu Euch unternommen.“
„Dann solltest du deine Zeit nicht mit sinnlosem Gerede vergeuden“, entgegnete der Weise und sah den Mann aufmerksam an.
„Wißt Ihr“, begann der Ratsuchende wieder und holte tief Luft...
„Ich weiß“ - der Weise lächelte verschmitzt — „aber vor der Antwort sollte die Frage kommen.“
Der Mann blickte verlegen zur Seite.
„Ich wollte fragen, ob Ihr mir den Unterschied zwischen Himmel und Hölle erklären könnt?“
„Du wolltest nicht fragen, du hast gefragt“, stellte der Weise fest und legte dem Mann die Hand auf die Schulter. „Natürlich kann ich dir den Unterschied erklären. Noch besser ist es jedoch, wenn du einfach mit mir kommst. Ich werde dir den Unterschied zeigen.“
Er stand auf, legte sich eine Decke um die Schultern, drehte sich um und ging. Dem Suchenden blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.
Auf einem steinigen, verschlungenen Pfad, der von wildwucherndem Efeu und üppigem Farn fast völlig überwachsen war, führte ihn der Weise zum Eingang einer großen Höhle ganz in der Nähe.
Vorsichtig kletterten sie hinein und stiegen in den Berg hinab. Lange Zeit war es so dunkel, daß sie sich nur mühsam vorwärts tasten konnten. Der Ratsuchende bekam schon ein wenig Angst, denn der Weise sprach kein Wort mit ihm. Nur sein ruhiger, tiefer Atem war ihm ein Zeichen in der Dunkelheit der Höhle. Endlich weitete sich der schmale Gang. Sie kamen in einen großen Raum und nahmen tausende von Menschen wahr. Ein fürchterliches Stöhnen und Schreien quälte die Ohren des Suchenden. Die Menschen wanden sich vor Schmerzen auf dem Boden oder drängelten sich dicht um einen großen Topf, der in der Mitte des Raumes auf einem Feuer stand. In diesem Topf schienen köstliche Speisen zu garen. Fis duftete so herrlich, daß der Suchende sofort gewaltigen Hunger spürte. Mit großen, wißbegierigen Augen blickte er in den Raum. Der Weise lehnte sich an die Felswand des Höhlenweges und beobachtete seinen Begleiter aufmerksam. Endlich wandte sich dieser zu ihm: „Ich verstehe nicht... warum schreien diese Menschen so? Was fehlt ihnen?“
Der Weise runzelte ein wenig die Stirn: „Du hast sehr lange geschaut. Hast du nichts gesehen?“
Verwirrt richtete der Mann seinen Blick wieder auf die Menschen in der Höhle und sah sie genau an. Die Menschen auf dem Boden schrien zwar vor Schmerzen, hatten aber offensichtlich schon aufgegeben. Sie lagen nur noch da und krümmten sich. Die anderen, die um einen Platz an dem großen Topf kämpften, schienen noch voller Kraft. Rücksichtslos, manchmal sogar mit
Weitere Kostenlose Bücher