Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Porzellangefäß, das sonst links auf dem Kaminsims steht. Es sieht aus, als wäre das Gefäß von ihr weggerollt. Der Deckel ist noch weiter entfernt und liegt genau unter ihrem Stuhl. Mein Mund ist trocken.
»Oh, Mrs. Mellin.« Ich habe Angst und bin traurig. Mein Herz schlägt sehr schnell. Ich spreche mit ihr, als würde sie schlafen, während ich ihren Kopf abstütze und ihr die Augen schließe. Ich habe erwartet, dass ihr Körper steif wäre, doch er ist weich und schlaff. Ich sehe nicht auf ihre Zunge und höre mir selbst zu, wie ich in einer Weise auf sie einplappere, die ich von mir nicht kenne. Es ist lächerlich, aber ich rede und rede. Ich nehme ihre Finger und falte sie sorgfältig in ihrem Schoß. Sie sieht jetzt fast aus wie immer, auch wenn ich es weiterhin vermeide, ihre Zunge anzuschauen. Ihre Hände sind weder kalt noch warm, sie haben dieselbe Temperatur wie der hölzerne Sessel, auf dem sie sitzt. Meine eigenen Hände sind nach dem schnellen Marsch durch den Sonnenschein noch warm. Ich sehe, dass ich noch schwarzes Blut unter den Fingernägeln habe. Ich setze mich auf die Bank an der anderen Seite des Herdes, um zu Atem zu kommen, und frage mich, zu wem ich laufen und wen ich um Hilfe bitten soll. Der Weg zum Pfarrhaus ist weit. Ich stehe wieder auf. Meine Mutter wird zu Hause ohne mich weiterarbeiten, dünn und müde nach dem langen Tag, an dem sie Blutwurst gekocht und das Pökeln des Schweinefleisches in dem großen Trog vorbereitet hat. Wenn das Fleisch fertig gepökelt sein wird, werden wir das Salz abwaschen und die Schweineseiten an die Eisenhaken hinter dem Herd in den Rauch hängen. Ich sollte heimgehen. Ich schäme mich, an Essen zu denken, aber der plötzliche Gedanke an den Geschmack des Fleisches lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Ich beuge mich vor. Vielleicht habe ich mich getäuscht, und Mrs. Mellin schläft nur oder ist krank. Vielleicht braucht sie Hilfe. Sie ist nicht sonderlich beliebt. Behutsam schiebe ich ein Augenlid zurück. Das Auge ist gelblich und blickt ins Leere. Ich merke, dass ein seltsamer Geruch von ihr ausgeht. Nein, ich habe genug Totes gesehen, um sicher zu sein, dass Mrs. Mellin schon seit ein paar Tagen nicht mehr lebt. Ich wende mich zum Gehen, ich muss ein Kind zum Pfarrer schicken, um ihm zu sagen, dass sie verstorben ist. Er wird kommen und ein Gebet sprechen und ihre Finger auf seine Bibel legen. Sie werden sie beerdigen, und das wär’s. Ich bücke mich, um das heruntergefallene Gefäß neben dem Stuhl aufzuheben, und werfe einen Blick hinein.
Und da sind die glänzenden Münzen.
Ich bin so überrascht, dass ich sie herausrollen lasse, und sie verteilen sich klirrend auf dem Boden. Sie schimmern und funkeln, als ich mich wieder bücke, um eine Münze aufzuheben und sie zu drehen und zu wenden. Ich zähle eine Guinee, eine halbe Guinee, eins, zwei, drei, vier, fünf Kronen und eine Handvoll ausländischer Goldmünzen, vielleicht aus Spanien. Sie glänzen, als hätte Mrs. Mellin ihre Zeit damit verbracht, jede einzelne zu polieren. Sie strahlen so hell, heller als Hagebutten in einer dunklen Hecke, als Birkenblätter im Oktober, als Steinbrech, als Frauenflachs, als nasse Steine aus dem Fluss, als gelbe Pilze im Unterholz, als Eigelb. Sie sind wie … Feuer. Wie die Sonne.
Und die Münzen verändern sich, während ich sie in den Händen halte, nach und nach lassen sie mich erkennen, welchen Wert sie für mich haben. Mein Herz beginnt so heftig zu schlagen, dass ich den Plan, der in meinem Kopf Gestalt annimmt, kaum richtig wahrnehmen kann.
2
Die halbe Meile nach Hause kommt mir wie eine große Entfernung vor. Es ist so hell hier draußen, dass mir die Augen wehtun, und mein Schatten hüpft zwischen der Böschung und der Hecke vor mir her.
Es gibt keine Blumen, abgesehen von ein paar kleinen, müden Köpfchen der schwarzen Flockenblume. Nur die Kappen von Giftpilzen, die aussehen wie weiches Rührei, schieben sich durch das Moos und die Gräser. Der Höhenrücken der Downs ragt düster über mir auf wie ein Tier, das auf den Sonnenuntergang wartet. In der Kurve an der Stelle, wo der Fluss eine Biegung macht, fast den Weg berührt und ihn in der nassen Jahreszeit auch überspült, treffe ich auf einen Hausierer. Er kommt aus der Richtung von Steyning und trägt ein großes Bündel auf dem Rücken. Es ist so schwer, dass er gebückt gehen muss. Sein Schatten fällt lang gestreckt und
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