Die Farm
weiß.«
Etwas riet mir, mich ihnen nicht in den Weg zu stellen. Die Sache ging nur die beiden etwas an. »Ich denk schon«, sagte ich.
»Danke, Luke«, sagte sie und quiekte fast vor Freude. Dann umarmte sie mich fest. »Ich gebe dir morgen den Brief«, sagte sie. »Und du versprichst mir, dass du ihn abschicken wirst?«
»Ich verspreche es.« Ich dachte an Mr Thornton im Postamt und wie neugierig er wäre, wenn er einen Brief von Libby Latcher an Ricky in Korea sähe. Irgendwie würde ich es schon hinkriegen. Vielleicht sollte ich meine Mutter fragen. Die Frauen trugen das schlafende Latcher-Baby auf die Veranda, wo Gran es in den Armen wiegte. Meine Mutter und Mrs Latcher sprachen darüber, wie müde das kleine Kerlchen war -
das ununterbrochene Schreien hatte es erschöpft -, sodass es tief und fest schlief, wenn es denn schlief. Das viele Gerede über das Baby langweilte mich bald.
* * *
Gleich nach Sonnenaufgang weckte mich meine Mutter, aber sie warf mich nicht aus dem Bett, sondern setzte sich zu mir und sprach mit mir. »Wir fahren morgen früh, Luke. Ich werde heute packen. Dein Vater wird dir dabei helfen, die Vorderseite des Hauses zu streichen, deswegen stehst du jetzt besser auf.«
»Regnet es?«, fragte ich und setzte mich auf.
»Nein. Es ist bewölkt, aber du kannst streichen.«
»Warum fahren wir morgen?«
»Weil es Zeit ist, dass wir aufbrechen.«
»Wann kommen wir zurück?«
»Ich weiß es nicht. Geh frühstücken. Wir haben viel zu tun.«
Ich fing vor sieben an zu streichen, die Sonne stand knapp über den Baumwipfeln im Osten. Das Gras war nass, das Haus auch, aber ich hatte keine andere Wahl. Bald waren die Bretter jedoch getrocknet, und ich kam gut voran. Mein Vater gesellte sich zu mir und wir versetzten das Gerüst, so dass er unter dem Dach streichen konnte. Dann fand uns Mr Latcher, und nachdem er uns eine Weile zugesehen hatte, sagte er: »Ich möchte mithelfen.«
»Das müssen Sie nicht«, sagte mein Vater aus zweieinhalb Meter Höhe.
»Ich möchte mir meinen Aufenthalt verdienen«, sagte Mr Latcher. Er hatte nichts anderes zu tun.
»Na gut. Luke, hol den anderen Pinsel.«
Ich lief in den Geräteschuppen, hocherfreut, dass sich erneut eine kostenlose Arbeitskraft eingefunden hatte. Mr Latcher strich mit großem Elan, als wollte er seinen Wert unter Beweis stellen.
Eine kleine Schar versammelte sich und sah uns zu. Ich zählte sieben Latchers, die in unserem Rücken mit ausdruckslosen Mienen auf der Erde saßen, alle Kinder außer Libby und dem Baby.
Wahrscheinlich warteten sie auf das Frühstück. Ich ignorierte sie und arbeitete weiter.
Das Anstreichen gestaltete sich jedoch schwierig. Pappy kam mich holen. Er sagte, er wolle mit mir zum Bach fahren, um die Überschwemmungen zu besichtigen. Ich erwiderte, dass ich eigentlich streichen müsse. Mein Vater sagte: »Nur zu, Luke«, und damit war mein Protest vom Tisch.
Wir fuhren mit dem Traktor durch die überschwemmten Felder, bis die Vorderreifen fast ganz im Wasser versanken.
Dann stellte Pappy den Motor ab und wir saßen lange Zeit auf dem Traktor, umgeben von der nassen Baumwolle, für die wir so hart gearbeitet hatten.
»Ihr fahrt morgen«, sagte Pappy schließlich.
»Ja, Sir.«
»Aber ihr kommt bald zurück.«
»Ja, Sir.« Meine Mutter, nicht Pappy würde bestimmen, wann wir zurückkehrten. Und wenn Pappy glaubte, dass wir eines Tages auf die Farm zurückkommen und wieder Baumwolle anpflanzen würden, irrte er sich. Er tat mir Leid, und ich vermisste ihn jetzt schon.
»Hab noch mal über Hank und Cowboy nachgedacht«, sagte er, ohne den Blick vom Wasser vor dem Traktor zu nehmen.
»Lassen wir es so, wie es ist. Es kann nichts Gutes daraus entstehen, wenn wir es weitererzählen. Dieses Geheimnis werden wir mit ins Grab nehmen.« Er hielt mir seine rechte Hand hin. »Abgemacht?«
»Abgemacht«, wiederholte ich und drückte seine dicke schwielige Hand.
»Vergiss dort oben deinen Pappy nicht, hörst du?«
»Werd ich nicht.«
Er ließ den Traktor an, legte den Rückwärtsgang ein, und wir kehrten über die nassen Felder zurück.
Als ich vor dem Haus ankam, sah ich, dass Percy Latcher meinen Pinsel genommen hatte und fleißig strich. Wortlos reichte er ihn mir und setzte sich unter einen Baum. Ich arbeitete ungefähr zehn Minuten, als Gran auf die Veranda kam und sagte: »Luke, komm mit. Ich muss dir was zeigen.« Sie führte mich ums Haus in Richtung des Silos. Überall waren Schlammpfützen, und das
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