Die Favoritin
Spannung zu erhalten. Chichabecher glitten uns in die Hand, jedermann war bestrebt, unsere letzten Augenblicke durch seine Gesänge und Tänze zu verzaubern. Ich warf meine Lliclla in die Menge, verschenkte meine Brosche, meine Ohrgehänge, meine Armbänder. Die Gefährtinnen taten es mir gleich. Es entstand ein Gedränge.
Was dann geschah, ging sehr rasch.
Ich fühlte mich unter den Achseln gepackt und in der Gegenrichtung ins Dunkel geschleift. Ich wehrte mich nicht, ich war schlaff wie ein Tierfell. Im selben Moment, da die Entführer meine Ekstase brachen, verließen mich all meine Kräfte. Nichts hielt mich mehr aufrecht, nur noch ihr Wille.
In einer Gasse wartete eine Sänfte. Man warf mich hinein. Träger hoben die Holme, ich sackte zusammen …
Ach, Pater Juan, es tut mir leid. Sagte ich Euch schon, daß ich Cuzco morgen früh verlasse? Dabei hätte ich so gerne … Das Leben erscheint einem kurz! Aber fängt man erst an, es im einzelnen zu schildern, gibt ein Wort das andere … ich habe ja kaum angefangen. Hätte ich mich doch kürzer gefaßt! Es liegt aber auch an Euch, ob Ihr es glaubt oder nicht. Noch nie vorher flößte mir jemand den Wunsch, mich ihm anzuvertrauen, so ein wie Ihr. Und ich habe Euch noch fast nichts erzählt, es gäbe soviel, soviel über mein armes Volk zu sagen, auch über Eure Landsleute hier, die Ihr nicht kennt … Es sei denn … Doch wollt Ihr mich nicht begleiten? Ich gehe ins Yucaytal, das heilige Tal der Inkas. Kommt mit. Ihr würdet mir eine Freude bereiten. Außerdem geht ebendort meine Geschichte weiter, wir könnten sie gemeinsam nacherleben.
Pater Juan de Mendoza
Zu Cuzco, Stadt in Peru, den 1. Oktober 1572
Morgenhelle vertreibt das Dunkel. Vom Fenster sehe ich, wie ein Träger nach dem anderen, den hoch beladenen Rücken in der Horizontale, das Haus verläßt. Da ihre Erzählung sich gestern bis ein Uhr nachts ausdehnte, einer Stunde, zu der ich ziemlicherweise nicht mehr im Bischofssitz erscheinen konnte, überredete sie mich, ihre Gastfreundschaft anzunehmen. Ebenso habe ich eingewilligt, sie auf ihrer Reise zu begleiten. Eine günstigere Einladung konnte ich mir gar nicht wünschen. Sei gesegnet, o Herr, der du ihr dies eingegeben hast.
Das Yucaytal soll, wie sie sagt, nur drei, vier Meilen entfernt liegen von Cuzco. Sie wollte, daß ich mir in ihrem Marstall ein Pferd aussuche. Ich habe mich für einen prachtvollen feurigen Fuchs entschieden. Genauso einen schenkte mir mein Vater, als ich fünfzehn fahre alt wurde … Herr mein Gott! Werde ich eines Tages von diesem Kitzel genesen, der mich wider Willen noch immer zu den irdischen Gütern treibt? Ich hätte mich mit der Mähre begnügen sollen, die mir die guten Patres von Lima geliehen hatten. Aber wäre es nicht auch unhöflich gewesen, hätte ich abgelehnt?
Was soll man aus der Liebenswürdigkeit schlußfolgern, die sie mir beweist? Meines Trachtens spielt sie dasselbe Spiel, das ihr bei den Regierenden hier so trefflich glückt, damit ich mich in den Chor eingliedere, der ihr Loblied singt. Nie vergessen, daß die Falschheit weiblich ist und daß Lügen aus einem schönen Mund klingen wie reiner Kristall! Nichtsdestoweniger spricht sie über ihre Vergangenheit mit einer unzweifelhaften Gefühlskraft und Aufrichtigkeit. Wenn sie erzählt, sieht man sie, wie sie einmal gewesen sein muß: faszinierend, und so unschuldsvoll in der Sünde!
Diese kollektiven Selbstmorde, verdammenswürdig! Ja, aber liegt darin nicht eine Hoffnung? Wenn es uns gelänge, diesen blinden Glaubenseifer Dir, o Herr, zuzuwenden, welch eine reiche Seelenernte!
Nur eine Sorge vergällt mir den Tag ein wenig. Pedrillo, mein Dolmetscher, den ich gestern abend beurlaubt hatte, ist nicht wieder erschienen. Dabei gab er mir bisher allen Grund, ihn zu loben. Ohne Dolmetscher bin ich, allein unter den Indios, des Gehörs und der Worte beraubt. Also auch dort, wo wir hingehen, ganz von ihr abhängig.
Mir kommt ein Gedanke: wollte sie es vielleicht so? Hat sie Pedrillo veranlaßt fernzubleiben? Wenn sie ist, wie man sagt, darf man ihr alle möglichen Absichten unterstellen, selbst die finstersten. Aber rede ich mir nicht etwas ein? Für mein Anliegen gilt ohnehin nur eines: weitermachen, beobachten, zuhören.
3
Als ich nach den geschilderten Opferszenen und meiner Entführung wieder zu mir kam, war es Tag.
Ich stellte fest, daß ich in einer Sänfte saß, daß die Sänfte sich vorwärts bewegte, und nach den verworrenen Bildern,
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