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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Davenat Colette
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die mein noch immer völlig benommenes Gedächtnis preisgab, glaubte ich, der Würger habe das Seine vollbracht und ich befände mich auf der Reise in das Land ohne Wiederkehr.
    Ich wagte einen Blick durch einen der Schlitze. Das Herz ging mir auf in der Brust. Ja, so mußte es sein, das ewige Festmahl, zu dem die verstorbenen Acllas geladen sind: ein grünes Tal, von einem so grünen, so frischen Grün, daß ich dergleichen noch nirgends gesehen hatte, und diese Blumenpracht, dies Rauschen Tausender Bäche überall, und dieser Friede im blauen Schatten der Berge.
    Ich hatte Durst.
    Fröhlich und begierig zu wissen, an welchem Nektar die Menschen des Jenseits sich labten, rief ich. Der Schritt der Träger verhielt. Ein Mann erschien, der nicht allzu himmlisch aussah, was aber meiner Stimmung nichts verschlug.
    »Wer du auch seist«, sagte ich, »hab die Güte und gib mir zu trinken.«
    Der Mann nahm einen Krug von seinem Rücken, füllte einen Becher und reichte ihn mir.
    Ich dankte ihm, trank. Es war einfach Wasser, aber noch nie hatte ein Getränk mir so köstlich geschmeckt.
    »Wo sind wir?« fragte ich, denn ich wollte meine Glückseligkeit aus dem rauhen Mund des Mannes bestätigt wissen, der auch hier ein Diener sein mußte, wie ein jeder bei uns im Tod seine irdische Existenz weiterführt.
    »Im Yucaytal«, sagte der Mann.
    Mein Denken erstarrte.
    »Im Yucaytal?« wiederholte ich. »Aber …«
    Der Mann verneigte sich.
    »Du bist bald da.«
    »Wo? Wer bist du? Wohin bringst du mich?«
    Ich schrie, von neuem verwirrte sich alles in meinem Kopf.
    »Wir bringen dich dorthin, wo wir dich hinbringen sollen auf Befehl des Inka Huascar, der unser aller neuer Gebieter ist, seit der ehrwürdige Huayna Capac, sein Vater, nicht mehr unter uns weilt.«
    Die Behänge fielen, die Sänfte setzte sich in Bewegung.
    Und auf einmal fiel es mir wieder ein … Wie Hände mich gepackt, mich der Opferung entrissen hatten … Erschrocken, übergangslos fand ich mich in meiner lebendigen Haut wieder. Glaubt mir, Pater Juan, es war keine Freude: mit dem Leben kehrten auch die Probleme zurück.
    Warum hatte Huascar mich entführen lassen? Sollte ich den schweigsamen und mürrischen Prinzen, der jetzt mein Herr war, in Tumipampa versehentlich gekränkt haben? Ich grübelte. Aber ich brauchte nicht lange nachzudenken, um von Huascar auf seine Mutter zu kommen, die Coya Rahua Ocllo. Es hieß, sie habe alle Macht über ihn, und hatte sie mir nicht selbst gesagt: »Wenn Huascar regiert, regiere ich, und ich werde dich nicht vergessen …« Ich hatte meinen Auftrag nicht erfüllt, Atahuallpa war der Erbe des Königtums Quito geworden, und die Coya vergaß nicht, sie wollte sich rächen. Aber was hatte sie vor? Mein selbstgewählter Tod hatte ihr also nicht genügt.
    Nach einer Zeit, die mich endlos dünkte, hielt die Sänfte. Ich raffte meinen Mut zusammen, hob einen Behang. Wir befanden uns in einiger Höhe, oberhalb von rostroten und goldgelben Terrassenfeldern, denn die Erntezeit nahte. Ich konnte die Tamburine hören, die von Frauen und Kindern geschlagen wurden. Genauso hatten wir es in unserer Ayllu gemacht, um die Vögel zu verjagen. Weiter unten sah ich Kokapflanzungen, deren blanke Blätter leuchtendgrüne Kissen bildeten, und das silbern sich schlängelnde Band eines Flusses.
    Rasch hob ich den anderen Behang. Mein Blick fiel auf die Mauern eines Palastes ganz aus weißem Granit, der so blendendhell in der Mittagssonne lag, daß meine Augen nach der langen Dunkelheit schmerzten und sich mit Tränen füllten.
    Pater Juan, es ist derselbe Palast, in dem wir uns jetzt befinden, und ich will Euch das wunderbare Funkeln erklären, das auch Euch überwältigt hat. Es rührt von dem Mörtel her, einem Gemisch aus Blei, Silber und Gold, den man zwischen die Steinblöcke goß, ein Verfahren, das bei den Palästen unserer Inkas und bei unseren Tempeln ziemlich oft angewandt wurde und das, ich sage es mit Bedauern, der Grund dafür war, daß Eure Landsleute zahlreiche Bauwerke zerstörten.
    Aber fahren wir fort …
    Diener erschienen. Einer trat vor die Sänfte.
    »Geruhe einzutreten«, sagte er.
    Durch ein Portal, dessen Sturz dicht mit gehauenen Pumaköpfen besetzt war, kam ich in ebenden Saal, in dem auch wir uns nun befinden.
    Ihr seht ihn sehr nackt. Früher war er mannshoch mit Goldtafeln ausgekleidet, auf denen Tiere, Vögel und Pflanzen im Relief dargestellt waren, jede Tafel ein kleines Kunstwerk von heiterer Anmut. Jaguarfelle

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