Die Feenflöte
habe Zeit und würde ihn mit Vergnügen zu dem Laden führen.
Sean bestand darauf, ein Taxi zu nehmen.
"Ich bin leider viel zu selten in Paris," sagte er zu Catherine, "deshalb will ich wenigstens ein bißchen von der Stadt sehen. In der Metro sehe ich nur Tunnel. Außerdem sollten wir zu dieser Tageszeit recht gut durchkommen."
Das Taxi setzte sie in der Rue du Four ab, und Catherine schaute sich um.
"Jetzt, wo es sozusagen drauf ankommt, werde ich etwas unsicher. Es könnte sein, daß wir doch ein wenig herumlaufen müssen, bis wir es finden."
"Nur zu, Madame Boulignac, ich folge ihnen einfach."
Catherine ging los, wechselte mehrmals zielstrebig von einer Straße in die nächste. In der Rue Fellbien blieb sie unvermittelt stehen und schüttelte den Kopf.
"Mist! Ich war mir so sicher. Es ist gar nicht in dieser Straße."
"Und jetzt?" fragte Sean.
"Jetzt marschieren wir ein Stück zurück. Hoffentlich erkenne ich dort den Weg wieder."
Einige Zeit später blieb Catherine erneut mit ratlosem Gesichtsausdruck stehen.
"Das darf einfach nicht wahr sein! Was werden sie jetzt wohl von mir denken? Es ist mir so peinlich. Ich komme mir wirklich albern vor."
Beinahe hätte Sean dieser Aussage zugestimmt. Er hatte nur noch wenige Stunden bis zu seiner Abreise zur Verfügung, und nun lief er zwar einerseits neben einer ungemein reizenden Pariserin durch malerische Straßen, war aber andererseits im Begriff, seinen freien Nachmittag zu vertun. Heute Abend würde er sich ganz bestimmt darüber ärgern. Gerade wollte er ihr auf höfliche Weise vorschlagen, die Suche abzubrechen, um wenigstens noch seinen geplanten Besuch in der Instrumentenwerkstatt von Monsieur Gabarian machen zu können, als Catherine ihre Hand vor die Stirn hielt.
"Nein, was bin ich so dumm! Jetzt weiß ich's. Es ist auf der anderen Seite des Boulevard St. Germain. Ehrlich, diesmal sind wir richtig."
Sean verkniff sich mühsam eine bissige Bemerkung.
"Gut, dann nichts wie hin." sagte er statt dessen.
Als sie in die Rue de L'Echaude einbogen nickte Catherine.
"Das ist die Straße. Gleich da vorne ist das Geschäft."
Die Ladenfront war recht schmal, dafür schien sich der Raum jedoch in die Tiefe zu erstrecken. Die Umrandungen von Schaufenster und Ladentür waren aus Holz, dessen säulenförmige Riffelung mit den kleinen geschnitzten Kapitelle ein hohes Alter vermuten ließen. Die frische blaue Lackfarbe betonte die altertümliche Gestaltung eher noch.
'L'Ancienne Librairie'
stand in kunstvoll-verschnörkelter Schrift in weißer Farbe auf dem Schild über dem Schaufenster. Von der anderen Straßenseite aus, wo sie standen, wirkte der Laden eher unscheinbar und unterschied sich nicht wesentlich von ähnlichen Geschäften in Frankreich. Auch die Dekoration ließ auf Anhieb nichts Ungewöhnliches vermuten. Sean ließ den Gesamteindruck des Ladens auf sich wirken, und wenige Augenblicke später sagte ihm sein Gefühl, daß er dank der entzückenden Catherine wahrscheinlich soeben im Begriff war, eine grandiose Entdeckung zu machen.
Die alte Ladentür öffnete sich mit einem kleinen Ruck und rief ein leichtes Klirren der Scheibe hervor. Der Geruch des alten Holzfußbodens mischte sich mit dem Geruch alter Bücher. Darüber schwebte der Hauch eines vornehmen Damenparfums. Mehrere Leuchten spendeten ein angenehm warmes Licht, das zum Verweilen und Schmökern einlud. Sean sah sich in aller Ruhe um, betrachtete die hohen alten Regale, warf einen Blick auf die alten Stiche, die an Mauervorsprüngen die Wand schmückten. In der Mitte des Raums standen bequeme Stühle zwischen niedrigen Regalen, sodaß man im Sitzen den Überblick über den Raum behielt. Der ganze Laden strahlte Ruhe und Harmonie aus. Außer ihnen war niemand anwesend.
Sean griff zunächst wahllos einige Bücher heraus und blätterte darin. In der Tat waren es ausgesuchte Exemplare. Catherine stand daneben und sah ihm zu.
"Sie haben mir wirklich nicht zuviel versprochen, Madame Boulignac. Ein großartiger Laden. Ich freue mich, daß sie mir zu dieser Entdeckung verholfen haben."
"Schön, daß es ihnen gefällt. Wie gut, daß ich ihn wiedergefunden habe."
"Diesmal sollten sie sich den Namen und die Straße merken."
"Das vergesse ich jetzt ganz bestimmt nicht mehr."
Am Ende des Ladens wurde eine Tür geöffnet, und eine zierliche ältere Frau trat ein. Ohne Hast kam sie auf die beiden zu. Ihr Alter war schwer zu schätzen, ihre Kleidung zeichnete sich durch bescheidene Eleganz aus.
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