Die Feenflöte
draußen dunkel geworden. Am liebsten wäre er heute Abend gar nicht weggeflogen. Als die Maschine mit donnernden Triebwerken startete, erinnerte er sich an seinen ersten Flug. Auch damals war er nur ungern weggegangen. Aber damals war es eine Art Flucht gewesen, und er erinnerte sich wieder lebhaft an sein Abenteuer, das in dieser Flucht geendet hatte...
"Sean! Sean!!!" rief seine Mutter laut durch das Haus. "Hast du den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Flöte zu spielen?! Mach' dich lieber nützlich."
"Wenn Tom Faulkner mich in seine Band aufnehmen soll, muß ich gut sein, Ma."
"Wieso willst du in einer Band spielen? Ich denke, du willst aufs Konservatorium?"
"Aber Ma, das habe ich dir schon hundert Mal gesagt! In Toms Band kann ich mir das Geld verdienen, das ich fürs Studium brauche."
"Hättest du dir mehr Mühe gegeben auf der Schule, hättest du ein Stipendium bekommen. Außerdem hättest du dann etwas Anständiges studieren können!"
"Wenn du Musik für unanständig hältst, dann kann ich dir nicht helfen!" giftete er zurück. Wütend nahm er seine Flöte und steckte sie in das alte Futteral, griff seine Jacke und stampfte aus dem Haus. Dann würde er eben im Freien weiter üben.
Als er auf dem Hügel vor dem Dorf ankam, setzte er sich auf einen der Mauerreste, die von dem zerfallenen alten Haus übrig geblieben waren. Hier würde ihn niemand stören.
Er spielte einen der irischen Tänze, die Toms Band häufig spielte. Tom mußte ihn einfach in die Band aufnehmen! Immerhin hatte er zu Sean gesagt, er habe echt Talent. Das spornte ihn seit Wochen an. Wenn er tatsächlich Geld verdienen würde, konnte er sich vielleicht sogar im Laufe seines Studiums eine richtige Konzertflöte kaufen. Nur damit würde er gut genug spielen können.
Kaum hatte er das Stück beendet, als er jemanden applaudieren hörte. Überrascht schaute Sean sich um, konnte aber zunächst niemanden entdecken. Eine blonde Frau trat unvermittelt neben dem Weißdornbusch an der alten Mauer hervor und kaum auf ihn zu. Sie war auffallend klein und zierlich, trug ein grünes Kleid, und hatte ein wunderschönes liebliches Gesicht.
"Wie schön sie ist! Sie sieht aus wie eine Elfe aus den alten irischen Feengeschichten." dachte Sean.
"Eine Elfe!" Die Erkenntnis traf ihn wie ein Donnerschlag, und eine leichte Gänsehaut überlief ihn.
"Ich hab' nie geglaubt, daß es die wirklich gibt. Oh verdammt, was mach' ich denn jetzt bloß?" fragte er sich.
Sollte er weglaufen? Nein, zu spät, sie stand bereits vor ihm.
"Du spielst gut. Wie heißt du?"
"Äh, ich? Äh, Sean."
"Gut, Sean, komm' mit mir."
"Ich? Wieso mitkommen? Wohin denn?"
Ihr hinreißendes Lächeln machte ihn vollends sprachlos.
"Nur keine Angst, ich zeige dir den Weg. Es wird dir bei uns gefallen. Außerdem brauchen wir heute Abend unbedingt einen guten Flötenspieler."
Sean war außerstande, zu widersprechen. Genau genommen war er nicht einmal in der Lage, überhaupt etwas zu sagen. Wohin wollte sie ihn führen? Was geschah hier? Sollte er wirklich mit ihr gehen?
Trotz der seltsamen Situation empfand er keine Angst. Ein wenig Unbehagen schon, aber keine Angst. Er folgte ihr auf den nahen Gipfel des Hügels. Dort angekommen murmelte sie etwas Unverständliches, begleitet von kreisenden Bewegungen beider Hände, und von einer Sekunde zur anderen sah Sean den Eingang zu einer Höhle vor sich. Eine Treppe aus grob behauenen Steinen führte hinab ins Innere des Hügels.
Sie wandte sich zu ihm um und winkte ihn heran.
"Komm nur, Sean. Du brauchst keine Angst haben."
Mit diesen Worten ging sie voran.
Zuerst wurde es allmählich dunkler, während sie die Treppe hinabstiegen. Unten angekommen erstreckte sich ein langer Gang vor ihnen. An seinem Ende leuchtete helles Licht, und beim Näherkommen hörte Sean immer deutlicher die typischen Geräusche eines Festes, das in vollem Gange war. Stimmen, Lachen, das Klirren von Gläsern.
Wo war er hier? Was war das nur für ein Ort? Vage erinnerte er sich an alte Erzählungen über das kleine Volk, seine unterirdischen Paläste, die Feste, die sie dort feierten. Aber das waren doch nur Sagen, Feenmärchen!
Die Elfe führte ihn in den Saal hinein, an der langen Festtafel entlang, zum Tisch an der Stirnseite. Sean erhaschte im Vorbeigehen flüchtige Blicke auf ein buntes Volk hübscher Gestalten an festlich geschmückten Tischen, vollgepackt mit Speisen. Die sieben Männer am Tisch musterten ihn mit durchaus freundlichen
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