Die Feenflöte
"aber das ist ja nun vorbei. Wahrscheinlich wird es sie erstaunen, aber ich habe eine ganz besondere Bitte, Mister Dennehy."
"Welche?"
"Ich würde sie gerne einmal spielen hören. Vor allem etwas aus dem
Tor der Musik
."
Sean war überrascht. Innerhalb von weniger als zwei Minuten hatte sich die große Spannung sozusagen buchstäblich in Luft aufgelöst, die Gefahr war gebannt. Wahrscheinlich war Merlane darüber ebenso erleichtert wie er selbst.
"Da habe ich eine gute Idee, Miss Merlane. Kommen sie morgen Abend in mein Konzert mit dem London Symphony Orchestra. Die Agentur wird ihnen eine Karte zur Verfügung stellen. Das Programm ist klassisch, und meine kleine Zugabe mit Elementen aus dem
Tor der Musik
wird ihnen sicher gefallen."
"Das würde ich sehr gerne tun!"
Sean sah auf seine Uhr.
"Ich würde sie gerne noch einiges fragen, Miss Merlane, aber leider ist es schon mehr als höchste Zeit für mich. Das Orchester wartet bereits. Nach dieser Aufregung weiß ich sowieso noch nicht, wie ich gleich bei der Generalprobe spielen soll. Am besten gehen sie mit Catherine zu Richard Harrigan. Wegen der Karte. Und wenn sie wollen, sehen wir uns morgen Abend nach dem Konzert. Einverstanden?"
"Einverstanden!" stimmte Merlane freudig zu.
Bevor Sean die Agentur verließ, um eiligst ein Taxi ins Barbican Centre zu nehmen, reichte ihm Catherine seine Flöte.
"Die solltest du besser mitnehmen."
"Meine Güte! Zum ersten Mal in meinem Leben hätte ich nicht daran gedacht!"
Epilog
Der verwilderte alte Garten hinter dem halb verfallenen Olsborough Castle mit seinen alten Bäumen, wuchernden Hecken, seinen Wildblumen und den zugewachsenen Wegen, an deren Rändern man vor langer Zeit zahlreiche große, inzwischen bemooste Steine platziert hatte, war der ideale Ort für Gwyllynns Spiel. Ich saß auf einem jener großen Steine in der Sonne und hörte ihr zu. Während sie spielte, schritt sie langsam den Weg zwischen den Büschen auf mich zu. Seit unserer letzten Begegnung vor einigen Monaten hatte sie täglich geübt und ihr Flötenspiel abermals verbessert. Jetzt, da der Garten in hochsommerlicher Blüte stand, paßte dieses heitere Stück, als sei es eigens für diesen traumhaften Tag geschrieben worden.
Gwyllynn, die Tochter meiner Cousine, war vielleicht nicht die schönste Fee, jedoch eine außerordentlich talentierte Musikerin. In ihrer Vorliebe für heitere Stücke drückte sich ihr fröhliches, der Welt zugewandtes Wesen aus. Unser beider Gefallen an Flötenmusik, das Interesse an den Möglichkeiten, die uns die Feenmusik bot, und die Neugier auf die Menschenwelt waren uns gemeinsam und hatten zu einer herzlichen Beziehung geführt.
Als sie das Stück beendet hatte, stand sie vor mir uns sah mich erwartungsvoll an. Ich ließ die Klänge noch einen genüßlichen Augenblick lang in mir ausklingen, ehe ich sprach.
"Großartig, Gwyllynn! Spiel' das im Winter im Feenschloß, und wir werden das Gefühl haben, in diesem sommerlichen Garten zu sitzen."
"Meinst du wirklich, Merlane? Findest du mein Spiel tatsächlich so gut, oder willst du mich nur ermutigen?"
"Sei nicht so überkritisch mit dir selbst, Gwyllynn. Du bist gut."
"Mag sein. Jetzt spann' mich nicht länger auf die Folter! Was hat er gesagt? Hast du was erreicht?"
"Ja. Und nochmal ja."
Gwyllynn strahlte über das ganze Gesicht. Nichts anderes hatte ich erwartet.
"Los, erzähl's mir, Merlane."
"Erst einmal war er völlig überrascht, mir zu begegnen. Damit hatte er nicht gerechnet. Unsere erste Begegnung damals war ja auch zunächst ziemlich angespannt gewesen. Sofort hegte er die Befürchtung, wir könnten es uns anders überlegt haben und die Flöte zurückfordern. Obwohl sie ihm als Leihgabe überlassen worden war! Das ist übrigens eine Lektion aus der Menschenwelt, die du immer wieder bestätigt finden wirst: sie sind mißtrauisch, weil sie das von ihresgleichen kennen. Versprechen zählen wenig, sie vertrauen einander nicht, weil sie sich oft nicht an das halten, was vereinbart wurde. Selbst über das, was schriftlich vereinbart wurde, wird im Nachhinein gestritten, oder es wird versucht, die Vereinbarung zu umgehen. Du wirst immer wieder erleben, welch' seltsame Doppelmoral die Menschen haben. Ich habe Sean gesagt, er müsse noch eine Menge über uns Feen lernen, wenn er so etwas für möglich hält. Wir haben uns dann aber gleich wieder prima verstanden. Natürlich gab es eine Menge zu erzählen. Schließlich sind inzwischen mehr als zwei Jahre
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