Die Fehler-Raeuber
Bildungsministerin an der Schule hatte allgemeine Verwirrung hervorgerufen und so war Johanna nach Hause gefahren, hatte sich auf ihren blauen Lieblingsplastiksessel verdrückt und Kater Volker auf den Schoß genommen. Es war eine seltsame Welt, wenn kaum Fehler passierten.
Auch Mörfi war nicht gut gelaunt. Den ganzen Nachmittag lief es schon im Puppenhaus auf und ab und murmelte immer wieder vor sich hin:
… Eine Eins im Betragen,
nichts Falsches sagen;
keine Fragen wagen,
alles still ertragen.
„Was?“, fragte Johanna endlich nach. „Ich verstehe kein Wort!“
Mörfi sprang aus dem Puppenhaus, kletterte an dem Plastiksessel hoch, kroch durch das Fell von Kater Volker, den es eigentlich nicht mochte, ließ sich aber dennoch hinter dessen linkem Ohr nieder. Volkers Fell war kuschelig und gemütlich. Erst dann fuhr Mörfi mit seinen merkwürdigen Andeutungen fort:
… Zaghaft ohne Tatkraft.
Hände im Schoß,
brav und fehlerlos.
Allmählich begann Johanna zu begreifen, dass Mörfi von den neuen Zeugnis-Formularen sprach, die im Büro der Bildungsministerin aufgetaucht waren. Die neuen Zeugnisse machten deutlich, worauf die Lehrer künftig Wert legen sollten. Mörfi nickte eifrig:
Alle Schüler – oh wie schade –
werden fehlerlos und fade,
nur mit Hass und ohne Mut,
ohne Spaß und voll von Wut.
Johanna fragte sich, ob Mörfis Ansichten nicht ein wenig übertrieben waren. Aber sie erinnerte sich an den Vormittag in der Schule. Nicht einmal die Spiele in den Pausen hatten Spaß gebracht, weil niemand mehr einen Fehler machte. Die Gesichter der Lehrer und ihrer Mitschüler waren hart, verbissen und angespannt gewesen. Nur die Zengel hatten sich gefreut. Ein schrecklicher Tag!
Mörfi stimmte ihr zu: „Zweifelsfrei verzweifelte Lage.“
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Gleich am nächsten Morgen empfing Söngul Johanna schon auf dem Schulhof mit der neuen Nachricht: „Dr. Bärli wurde beurlaubt! Deshalb war die Ministerin gekommen. Der Habicht ist bis auf weiteres Schuldirektor!“
Johanna konnte es nicht glauben. Der Habicht hieß ausnahmsweise mal nicht wirklich so, sondern Herr Habernich. Weil das aber so ähnlich klang und besser zu seinem Aussehen passte, wurde er unter den Schülern als Habicht bezeichnet. Der Habicht war Lehrer für Mathematik, Geografie und Latein und das genaue Gegenteil von Dr. Bärli: hager, hektisch und streng!
Johanna kannte sich in solchen Dingen nicht aus, aber wieso kam die Ministerin persönlich, um einen Direktor auszutauschen?
Söngul war mit ihren Neuigkeiten noch nicht am Ende: „Das Sportfest wird nicht wiederholt. Sportfeste sind Zeitverschwendung, findet der Habicht. Stattdessen gibt es demnächst eine Mathe-Olympiade.“ Söngul verzog das Gesicht, als hätte sie in verfaultes Obst gebissen. „Aber das Schlimmste kommt noch!“
Johanna konnte sich nicht vorstellen, was es für Söngul Schlimmeres geben sollte als Mathe-Olympiaden.
„Wir sind Versuchsschule des Ministeriums. Ab sofort bekommen wir für Sauberkeit, Ordnung und Betragen Noten im Zeugnis!“, berichtete Söngul. Johanna war sprachlos.
Im Gegensatz zu Mörfi: „Zengel-Attacke!
Schlammer Schlimissel! Sieh nur!“
Klar, was Mörfi meinte. Die Nachricht, dass Sauberkeit, Ordnung und Betragen schon im bevorstehenden Zeugnis benotet werden sollten, musste sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen haben. Vor dem Pavillon der Mittelstufe standen die Schüler stramm in Zweierreihen geordnet. Siebtklässler in Zweierreihen! Einige Jungs, die Johanna als ziemlich schlimme Rüpel kannte, zogen schweigend mit Eimern und Zangen über den Hof, um jedes kleinste Fitzelchen Papier aufzusammeln. Als eine Lehrerin vorbeikam, blieben sie stehen, nahmen die Baseballmützen vom Kopf und grüßten mit einer tiefen Verbeugung. Die Schüler der Klasse 5 b, die offenbar schon zwanzig Minuten vor der ersten Unterrichtsstunde komplett anwesend waren, liefen im Gleichschritt hinter ihrem Klassenlehrer her, um rechtzeitig bei den Fachräumen zu sein. Auf dem Schulhof, auf dem bisher kurz vor Unterrichtsbeginn noch wild Fußball gespielt wurde, hatte sich ein Pulk Schüler versammelt, die sich gegenseitig kontrollierten, ob auch jeder seine Hausaufgaben ordnungsgemäß erledigt hatte. Eine weitere Gruppe Schüler zog mit Plastikeimern, Schwämmen und Bürsten übers Schulgelände, um all die bunten Graffitis abzuschrubben, damit der graue Beton darunter wieder sichtbar wurde.
„Völlig verkorkst!“,
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