Die Festung der Perle
blieb stehen und blickte zurück zu der Tür, wo Anighs Kopf gerade noch zu sehen war.
»Komm!« Lord Gho packte Elrics Arm. »Auf in die Halle. Das Elixier. Sogar mehr als zuvor. Du verlangst doch danach, oder etwa nicht?«
Er sprach die Wahrheit. Doch noch siegte in Elric der Haß über die Gier nach dem Trank. Er rief: »Anigh! Junger Anigh!«
Langsam zeigte sich der Junge. »Aye, Herr?«
»Ich schwöre, daß ich nichts tun werde, wodurch du Schaden erleidest. Und diese eklige Kreatur hier versteht jetzt auch, daß er unter schlimmsten Qualen sterben wird, wenn er dir etwas zuleide tut, solange ich weg bin. Du mußt dich aber an alles erinnern, was ich dir gesagt habe, Junge, denn ich weiß nicht, wohin dieses Abenteuer mich führen wird.« Dann fügte Elric noch in der Gaunersprache hinzu: »Vielleicht in den Tod.«
»Ich habe verstanden«, rief Anigh. »Aber ich flehe dich an, Herr. Stirb nicht! Ich bin an deinem restlichen Leben noch durchaus interessiert.«
»Das reicht!« Lord Gho ging durch den Kreuzgang und bedeutete Elric, ihm zu folgen. »Komm jetzt! Ich werde dich mit allem versorgen, was du benötigst, um die Festung der Perle zu finden.«
»Und ich wäre überaus dankbar, wenn du mich nicht sterben ließest. Ich wäre dir äußerst ergeben, Herr«, rief Anigh hinter ihnen her. Dann schloß sich die Tür.
Kapitel 3
Auf der Roten Straße
Am nächsten Morgen verließ Elric alte Quarzhasaat, ohne genau zu von Melniboné also das wissen, was er suchte oder wo er es finden würde. Er wußte nur, daß er der Roten Straße zur Oase der Silberblume folgen und dort ein Bronzezelt finden sollte, wo er vielleicht erfuhr, wie er auf den Pfad zur Perle im Herzen der Welt weiterziehen konnte. Blieb ihm der Erfolg dieser nebulösen Mission versagt, hatte er zumindest sein Leben verwirkt.
Lord Gho Fhaazi hatte ihm keine weiteren Einzelheiten mitgeteilt. Offensichtlich wußte der ehrgeizige Politiker auch nicht mehr als das, was er noch einmal wiederholt hatte. »Der Blutmond muß aus dem Bronzezelt Feuer machen, ehe der Pfad zur Perle enthüllt wird.«
Da Elric weder die alten Legenden noch die Geschichte Quarzhasaats kannte und über die Geographie auch nur wenig wußte, hatte er beschlossen, den Weg zur Oase zu nehmen, der auf der Karte, die ihm Lord Gho gegeben hatte, eingezeichnet war. Danach betrug die Entfernung zwischen Quarzhasaat und der Oase mit dem seltsamen Namen jedoch mindestens einhundert Meilen. Dahinter kamen die Zackigen Säulen, ein niedriger Gebirgszug. Das Bronzezelt war nicht eingetragen, ebensowenig fand sich ein Hinweis auf die Perle.
Lord Gho glaubte, daß die Nomaden mehr wüßten, konnte Elric aber nicht zusichern, daß sie auch mit ihm sprechen würden. Der Albino hoffte jedoch auf freundliche Aufnahme, sobald die Wüstensöhne erfuhren, wer er war und er mit etwas Gold, mit dem ihn Lord Gho versehen hatte, nachhalf. Über das Land hinter der Seufzerwüste oder seine Bewohner wußte er überhaupt nichts. Lord Gho hatte die Nomaden verachtend als primitiv bezeichnet und war sogar dagegen gewesen, daß sie gelegentlich in die Stadt kamen, um Handel zu treiben. Elric hoffte, die Nomaden würden bessere Manieren haben als die, die sich immer noch einbildeten, den ganzen Kontinent zu beherrschen.
Der Name für die Rote Straße war gut gewählt. Dunkelrot zog sie sich wie eine Spur halbgetrockneten Blutes durch die Wüste. Zu beiden Seiten erhoben sich Steilufer, die daraufhinwiesen, daß die Straße ursprünglich ein Fluß gewesen war, an dessen Ufern Quarzhasaat dereinst erbaut worden war. Im Abstand von einigen Meilen senkten sich die Dämme, so daß man in alle Richtungen auf die Wüste hinausblicken konnte - ein Meer rollender Dünen, dazu eine leichte Brise, die auf der Straße nur schwach zu hören war, aber dennoch an das Seufzen eines im Kerker schmachtenden Liebenden erinnerte.
Langsam kletterte die Sonne am Indigohimmel empor, der so reglos wie eine Kulisse dastand. Elric war für die landesübliche Kleidung dankbar, die ihm Raafi as-Keeme gegeben hatte. Er trug einen weißen Burnus mit Kapuze, lose weiße Beinkleider und ein passendes Wams, weiße Leinenstiefel bis zum Knie und einen Augenschutz. Sein kräftiges, aber geschmeidiges Roß war ausdauernd und zu großer Geschwindigkeit fähig; es trug ebenfalls einen weißen Überwurf als Schutz gegen die Sonne und den Sand, der ständig über die Landschaft strich. Elric bemerkte, daß man sich Mühe gab, die
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