Die Festung der Perle
Diebe nach ihr suchen. Das ist die Ursache für Varadias Gefangenschaft im Traumreich. Deshalb kamen die Zauberer-Abenteurer zu ihr und betäubten und entführten sie. Das Böse kommt nicht von der Perle, sondern von dem, was böse Menschen daraus gemacht haben.«
»Was sollen wir tun?« fragte Elric. »Willst du sie auf dem nächsten Traummarkt verhökern?«
»Vielleicht sollte ich das tun. Aber damit wäre noch lange nicht Varadias Sicherheit in der Zukunft gewährleistet. Versteht ihr?«
»Solange die Perle eine Legende ist, wird es welche geben, die sich auf die Suche nach der Legende machen. Meinst du das?«
»Genau, Prinz Elric. Deshalb sollten wir sie nicht zerstören, jedenfalls nicht hier.«
Elric war es egal. Er war so in den Traum vertieft und das Aufdecken der real existierenden Ebenen im Traumreich, daß er seine ursprüngliche Queste vergessen hatte, die Bedrohung seines und Anighs Leben in Quarzhasaat.
Oone mußte ihn daran erinnern. »Elric von Melniboné, in Quarzhasaat hast nicht nur du Feinde, sondern auch das Mädchen und das Volk der Bauradim. Du hast noch eihe weitere Aufgabe vor dir, wenn wir ins Bronzezelt zurückgekehrt sind.«
»Dann mußt du mich beraten, Oone«, sagte Elric etwas hilflos. »Ich bin hier noch ein Anfänger.«
»Genaues kann ich dir auch nicht raten.« Sie wandte die Augen von ihm ab, vielleicht aus Scheu, vielleicht aus Schmerz. »Aber ich kann hier eine Entscheidung fällen. Wir müssen die Perle für uns beanspruchen.«
»Wenn ich recht verstehe, so existierte die Perle überhaupt nicht, ehe die Herrscher Quarzhasaats sie erdachten, ehe jemand die Legende entdeckte und die Zauberer-Abenteurer kamen.«
»Aber jetzt existiert sie«, erklärte Oone. »Varadia, würdest du mir die Perle geben?«
»Gern«, sagte das Heilige Mädchen und lief die Stufen empor. Dann nahm sie die Schutzglocke von der Säulenplatte und schleuderte sie auf den Marmorboden, so daß das milchige Glas in tausend Scherben zersprang und zwischen die Knochen und die Rüstung des Perlkriegers sprang. Dann nahm Varadia die Perle in die Hand wie ein Kind einen gewöhnlichen Ball hält, und warf sie spielerisch in die Höhe. Jetzt fürchtete sie sich nicht mehr davor. »Sie ist wirklich bildschön. Kein Wunder, daß sie die Perle haben wollten.«
»Sie schufen die Perle, und dann lockten sie dich damit in die Falle.« Oone fing die Perle auf, als Varadia sie ihr zuwarf. »Welche Schande, daß jene, die so etwas Schönes schufen, sie auf solch schurkische Weise in ihren Besitz bringen wollten …« Plötzlich runzelte sie besorgt die Stirn.
In der Festung der Perle wurde das Licht schwächer.
Von allen Seiten hörte man schmerzliches Stöhnen, Ächzen, Wehklagen und gequälte Schreie, als ob sämtliche armen Seelen im gesamten Multiversum gleichzeitig ihre Stimmen erhöben.
Der Lärm drohte ihnen den Kopf zu zersprengen. Sie hielten sich die Ohren zu. Voller Entsetzen sahen sie, wie sich der Marmorboden hob und Wellen bildete, wie die Elfenbeinwände mit all den prächtigen Mosaiken und Schnitzereien vor ihren Augen zerbröckelten und sich auflösten wie ein Stoff aus einem Grab, der plötzlich dem Tageslicht ausgesetzt wird.
Und dann übertönte dieses Lachen den ganzen Lärm.
Es war ein fröhliches Lachen. Das Lachen eines Kindes.
Es war das Lachen einer befreiten Seele.
Es war Varadia.
»Endlich löst sich alles auf. Alles löst sich auf! Oh meine Freunde, ich bin nicht länger eine Sklavin!«
Mitten durch die Trümmer, die von der Decke und den Wänden herabfielen, durch all den Verfall und die Auflösung, durch den zerstörten Kadaver der Festung der Perle, kam Oone mit Varadia an der Hand auf ihn zu. Sie beeilte sich, aber sie war dabei vorsichtig.
»Noch nicht! Es ist noch zu früh! Wir könnten uns alle hierbei auflösen.«
Elric nahm Varadias andere Hand, und Oone führte sie durch die schreiende und krachende Dunkelheit aus der Kammer heraus, durch schwankende Korridore, über Innenhöfe, auf denen die Brunnen Staub ausspien und die Wände aus verwesendem Fleisch anfingen, sich in Luft aufzulösen, als sie an ihnen vorbeistürmten. Oone trieb sie an, so schnell wie möglich zu laufen, bis das letzte Tor vor ihnen auftauchte.
Endlich erreichten sie die Marmorstraße. Vor ihnen lag eine Brücke. Oone schleifte die beiden fast hinter sich her. Die drei liefen um ihr Leben, während sich die Festung der Perle mit dem Gebrüll eines sterbenden Tieres in Nichts auflöste.
Die
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