Die Festung der Perle
kam mit ausgebreiteten Armen die Stufen herab auf die beiden zu. Ihre Augen strahlten vor Bewunderung.
»Wir sind das, was wir sind«, erklärte Oone. »Wir sind sterbliche Krieger, und haben die Bedrohung für die Festung der Perle vernichtet.« Ihre Worte klangen wie ein Ritual. Elric vertraute ihr und begnügte sich, zu schweigen.
»Ihr seid die Kinder Chamog Borms, Bruder und Schwester des Knochenmondes, Kinder des Wassers und der Kühlen Brisen, Eltern der Bäume.« Der Seneschall hatte die Beutel fallen lassen. Er weinte vor Freude und Erleichterung. Elric fiel auf, wie sehr er Raik Na Seem ähnelte.
Oone war abgestiegen und ließ sich von Königin Zephir umarmen. Schlurfen und Kichern verkündete das Kommen des Perlkriegers.
»Für mich ist hier kein Platz mehr«, erklärte er. In Alnacs toten Augen stand nur mehr Resignation. »Jetzt kommt die Auflösung …« Dann fiel er auf den Marmorboden. In seiner zerstörten Rüstung steckten nur noch Knochen, so daß die Überreste des Perlkriegers wie die nicht eßbaren Teile einer Riesenkrabbe aussahen, Reste vom Abendmahl eines Seeungeheuers.
Königin Zephir trat mit weit ausgestreckten Armen auf Elric zu. Sie kam ihm jetzt viel kleiner vor als bei ihrer ersten Begegnung. Ihr Kopf reichte ihm kaum ans Kinn. Ihre Umarmung war herzlich, auch sie weinte. Ihr Schleier glitt vom Gesicht. Da sah er, daß sie damit viele Jahre abgelegt hatte und jetzt eher ein kleines Mädchen war.
Hinter Königin Zephir lächelte Oone ihn liebevoll an und freute sich über seine offensichtliche Überraschung. Behutsam streichelte Elric das Gesicht des Mädchens, fuhr ihr durchs Haar und holte tief Luft.
Es war Varadia. Es war das Heilige Mädchen der Bauradim. Es war das Kind, dessen Seele zu befreien sie gelobt hatten.
Oone legte schützend einen Arm um die Schulter Varadias. »Jetzt weißt du, daß wir wirklich deine Freunde sind.«
Varadia nickte und schaute zu ihren Höflingen hinüber, die wieder in die frühere starre Haltung verfallen waren. »Der Perlkrieger war der beste von allen«, sagte sie. »Ich hätte keinen besseren rufen können. Chamog Borm hat mich im Stich gelassen. Die Zauberer-Abenteurer waren zu stark für ihn. Jetzt kann ich ihn aus der Verbannung zurückholen.«
»Wir vereinigten seine Stärke mit der unsrigen«, erklärte Oone. »Deine und unsere Stärke. Nur so konnten wir Erfolg haben.«
»Wir drei sind keine Schatten«, sagte Varadia lächelnd, als sei es eine Enthüllung. »Und deshalb hatten wir Erfolg.«
Oone nickte zustimmend. »Deshalb hatten wir Erfolg, Heiliges Mädchen. Doch jetzt müssen wir uns überlegen, wie wir dich zurück in das Bronzezelt bringen, zurück zu deinen Leuten. Du trägst all ihren Stolz und ihre Geschichte in dir.«
»Das wußte ich. Ich mußte dieses Wissen schützen. Ich dachte, ich hätte versagt.«
»Du hast nicht versagt«, versicherte ihr Oone.
»Und die Zauberer-Abenteurer werden nicht mehr angreifen?«
»Nie mehr!« beteuerte Oone. »Nicht hier und auch anderswo nicht. Dafür werden Elric und ich sorgen.«
Voller Bewunderung wurde Elric nun klar, daß es allein Oones Werk gewesen war, die Zauberer-Abenteurer ein letztes Mal herbeizurufen, um anhand der Niederlage dieser Schatten Varadia ihre Befreiung zu beweisen.
Warnend blickte Oone ihn an, damit er nicht zu viel sage. Doch Elric war inzwischen klar geworden, daß alles, wogegen sie gekämpft hatten, vielleicht etwas vom Perlkrieger und von den Zauberer-Abenteurern ausgenommen, die Träume eines Kindes gewesen waren. Der legendäre Held Chamog Borm hatte Varadia nicht retten können, weil sie wußte, daß es ihn nicht wirklich gab. Auch der Perlkrieger war großenteils von ihr erdacht und konnte ihr daher nicht helfen. Doch er und Oone existierten wirklich. So wie das Kind selbst! In dem tiefen Traum, in dem Varadia sich als Königin verkleidet hatte, die vergeblich nach Macht strebte, hatte sie, wie sie selbst zugab, die Wahrheit gekannt. Obwohl sie diesem Traum nicht entfliehen konnte, war sie sich des Unterschiedes zwischen ihren Erfindungen und dem Echten - ihrer Person, Oone und Elric - bewußt gewesen. Trotzdem mußte Oone ihr vor Augen führen, daß sie das, was von der ursprünglichen Bedrohung übrig war, besiegen konnte. So befreite sie das Mädchen.
Aber auch jetzt befanden sich alle drei noch in diesem Traum. Die große Perle pulsierte so mächtig wie zuvor, die Festung mit all ihren Türmen und Irrgängen war noch immer ihr
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