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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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worüber habt ihr gesprochen?« Ich
erzählte ihm von Ramiz' Familie, von seinem Mädchen, von
seiner Sehnsucht nach echten Freunden, lauter Dinge, die
er für unerhörte Dummheiten hielt.
    »Nur das?«
    »Worüber
hätten wir noch sprechen sollen?«
    »Hat er
nicht erwähnt, was er in der Moschee redet?«
    »Ich weiß nicht, was er in der
Moschee redet. Warum fragst du danach?«
    »Nur so.«
    Der Regen tropfte ihm von der Nase.
Mir sicherlich auch. Das nahm mir die Angst, er sah komisch aus.
    »Hast du Kummer, Avdaga, daß du hier
im Regen herumstehst? Dein Bruder hat dir ein reiches Erbe hinterlassen, ich
dachte, du würdest deine Arbeit aufgeben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du
sie gern tust.«
    »Ich liebe
meine Arbeit.«
    »Na, ich
weiß nicht. Sie ist anstrengend.«
    »Das macht
mir nichts aus.«
    »Und
häßlich.«
    »Häßlich?
Wieso?«
    »Also gut, sagen wir: seltsam. Geht
es dich etwas an, was die Menschen tun?«
    »Doch, es geht mich etwas an. Es
gibt viele Spitzbuben.«
    »Gibt es mehr Spitzbuben als
anständige Menschen?«
    Er sah mich an, als wunderte ihn
diese Frage. Er war so überrascht, daß ich wußte, was er dachte, auch wenn er
nichts sagte. Natürlich gab es mehr Spitzbuben, und wenn er nicht wäre, würden
sie die ganze Welt beherrschen. Er mußte wissen, was die Menschen taten, was
sie sagten, was sie dachten, mit wem sie sich trafen, und am besten wäre es,
wenn sie nicht sprächen, nicht dächten, mit niemandem zusammenkämen, am besten
wäre es, wenn alles verboten wäre. Weshalb reisten die Menschen, weshalb
besuchten sie andere Städte, weshalb saßen sie in den Kaffeehäusern, warum
unterhielten sie sich, warum flüsterten sie, warum verließen sie ihre Häuser?
Hätte er gekonnt, er hätte all dies unterbunden, aber da er nicht konnte, blieb
ihm nichts anderes übrig, als wachsam zu sein, mißtrauisch gegen alles, was
lebte und sich bewegte. Er war der besorgteste und verantwortungsvollste Mensch
auf der Welt, und das Gewissen plagte ihn, wenn er nicht alles voraussehen und
nicht allem zuvorkommen konnte. Er würde jedes Übel verhüten, wenn er alle
Menschen einsperrte. Aber leider verstand ihn niemand.
    Doch mir das zu erklären lohnte
nicht. Er sagte nur: »Wenn du Ramiz wieder einmal siehst, merk dir, was er redet.«
    »Ich werde
ihn nicht sehen.«
    »Wenn du ihn siehst, sage ich. Er
sucht dich bestimmt auf. Ihr seid von derselben Sorte, nur daß du Angst hast.«
    »Du weißt, was er redet, du weißt,
wen er aufsuchen wird, wozu brauchst du mich? Hat das Džemal Zafranija von dir
verlangt?«
    »Es geht dich nichts an, wer etwas
von mir verlangt.«
    »Sag mir ehrlich, Avdaga: Wenn du
den Befehl bekämst, mich zu verhaften, würdest du doch sicher gehorchen? Obwohl
du weißt, daß ich unschuldig bin.«
    »Niemand
ist ohne Schuld.«
    »Auch wenn du den Befehl bekämst,
mich zu töten, würdest du gehorchen. Warum, Avdaga?«
    »Warum
sollte ich nicht?«
    »Gott
verzeih dir, Avdaga.«
    »Ich habe dich nach Ramiz gefragt.
Warum antwortest du nicht?«
    »Ich frage dich: warum? Du fragst mich:
warum? Und so fragen wir nur und wissen nichts. Leb wohl, Avdaga. Gott helfe
mir und dir.«
    »Du wirst die Hilfe notwendiger
brauchen«, sagte er nachdenklich.
    Bei diesem lächerlichen Gespräch
wurden wir beide bis auf die Haut naß.

Die Trillerpfeifen
    Die Sehnsucht nach Arbeit brachte mich nicht um,
aber irgendwie mußte man leben.
    Mehr denn je wünschte ich mir eine
Beschäftigung. Tijana stickte Frauenhemden, auf diese Weise ernährte sie uns,
und ich schämte mich, weil nur sie arbeitete.
    Die Kaufleute waren Mahmut
weggelaufen, offenbar hatten sich die Griechen über ihr seltsames Kauderwelsch
gewundert, wenn sie in Saloniki stolz ihre Sprachkenntnisse anwandten. Mahmut
erklärte ihnen, er spräche einen anderen Dialekt, den antiochischen. So zog er
sich aus der Affäre, aber den Verdienst war er los.
    Tijana versuchte mich zu überzeugen,
daß das Sticken einfach sei und beruhigend auf sie wirke, zudem würde es gut
bezahlt, so daß wir uns um unser täglich Brot keine Sorgen zu machen brauchten.
Und alles wäre gut gewesen, hätte ich nicht untätig herumgesessen. So aber war
es wirklich scheußlich, ich fiel meiner schwachen Frau zur Last, und sie mußte
für meine Schuld büßen.
    »Du bist nicht schuld«,
beschwichtigte sie mich. »Und ich arbeite ja nicht für Fremde, sondern für
uns.«
    Oder sie schalt mich, wenn ich
zerknirscht die Nase hängen ließ: »Was ist denn schon

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