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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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herrschen und nicht von anderen beherrscht werden wollten,
und es genügte Gottes Gnade, die ihnen helfen würde. Den Derwisch habe man
getötet, seine Worte aber habe Ramiz in sich bewahrt. Bis auf Gottes Gnade: Die
Menschen brauchten nur das, was sie allein unter sich ausmachen konnten.
    Er befinde sich wohl dabei, denn er
könnte nicht anders. Es sei nicht immer leicht, aber an die Schwierigkeiten
habe er sich schon gewöhnt, Beschimpfungen störten ihn nicht, das Gefängnis sei
ein Mißgeschick wie jedes andere, Schläge seien unangenehm, aber er sei jung
und könne etwas aushalten. Schwerer sei es, wenn er an seine Mutter denke, an
den Bruder, das Mädchen, an die Wärme des häuslichen Herdes und vertrauter
Gespräche, die er schon seit Jahren nicht mehr geführt habe. Doch er
verscheuche solche Gedanken, weil er sich keine Schwäche erlauben dürfe.
    Er wünschte sich, hier einen Freund
zu haben. Keinen Anhänger, keinen Gefolgsmann, deren gäbe es genug, sondern
einen echten Freund, mit dem man anders sprechen und schweigen könne als mit
den übrigen Menschen, so lieb sie einem auch seien. Freundschaft könne man
nicht machen, sie entstünde von selbst wie die Liebe. Er würde sich freuen,
wenn wir Freunde werden könnten.
    Ich reichte ihm die Hand, angerührt
von seiner Angst vor der Einsamkeit und seinem Bedürfnis, sich an einen anderen
Menschen zu binden. Er würde seine Idee nicht verraten, auch wenn sie ihm
manchmal das Gefühl der Kälte und Leere einbrachte. Meine Freundschaft konnte
ihm nicht viel helfen, aber sie konnte ihm eine innere Stütze sein.
    Wir traten auf die Gasse.
    Ich lud ihn ein, mich zu besuchen,
wir seien einfache Leute, sagte ich, und was an uns läge, würden wir tun, um es
ihm behaglich zu machen. Ich verschwieg, daß wir ihn auch zum Essen bitten
würden, er brauchte es. Ich glaube nicht, daß er oft zu einer Mahlzeit kam.
    So vergaß ich über dem alltäglichen
Gespräch die Vorsicht, mit der ich ihm anfänglich begegnet war.
    Ein ungewöhnlicher junger Mann. Aus
ihm würde ein wunderbarer Mensch werden, wenn er seine Vorstellungen nicht
verwirklichte, ein schrecklicher, wenn ihm Erfolg beschieden war. Er würde auf
seine reine Idee auch später stolz sein, wenn sie längst beschmutzt war. Jetzt
war er gegen die Gewalt, er würde sie im Namen der Freiheit anwenden. Jetzt war
er für die Freiheit, er würde sie im Namen der Macht ersticken. Er würde
grausam für seine Überzeugung kämpfen, weil er sie für edel hielt und nicht
wußte, daß sie unmenschlich geworden war. Er würde zum entschiedensten Feind
dessen werden, der er einst war, und das vergröberte Bild seiner früheren
Begeisterung wie ein Amulett hüten. Wenn er aber keinen Erfolg hatte wie so
viele andere, wenn die Schwärmer von heute sich gegen ihn wandten, dann würde
sein Untergang mehr ausrichten als ein Sieg. Die Menschen würden die Erinnerung
an das Opfer und an die Idee bewahren, die nicht Wirklichkeit geworden war.
Seltsamerweise war das das Beste, was ein Mensch tun konnte: zu versuchen und
zu scheitern.
    So würde der Wunsch und Glaube
weiterleben, daß einmal das erträumte Paradies kommen würde, und mit diesem
Wunsch war das Leben leichter. Wenn die Propheten enttäuschen, werden die
Träume dunkel. Die Propheten müssen sterben, bevor sie etwas wahr machen
können. Es genügt, wenn sie noch einmal die alte Hoffnung entzündet haben.
Warum sie durch eine enttäuschende Tat löschen? Vielleicht mußte noch eine
lange Zeit vergehen, damit die Herzen viel von dieser unbefleckten Schönheit in
sich aufnahmen und die Menschen geläutert den uralten Traum verwirklichten.
    Regen ernüchterte mich und trieb mir
die verworrenen Gedanken aus dem Kopf, mit denen ich mich gegen die Schwärmerei
eines anderen wehrte.
    Ich hatte es eilig, nach Hause zu
kommen, und wollte mich nicht unterstellen. Aber das bereute ich, als ich in
einem Haustor den Serdar Avdaga erblickte. Am liebsten wäre ich umgekehrt,
mochte er ruhig denken, daß ich ihm aus dem Weg ging.
    Ich blieb stehen, tat wieder ein
paar Schritte und geriet so aus dem Häuschen, daß ich auf ihn zusteuerte wie das
Kaninchen auf die Schlange.
    Er sprach
mich liebenswürdig an.
    »Du bist
oft in der Bibliothek.«
    »Sei mir
gegrüßt, Avdaga.«
    »Ich sehe
dich jeden Tag.«
    »Ich habe
viel Zeit. Du anscheinend auch.«
    »Ich habe nicht gewußt, daß du mit
Ramiz befreundet bist.«
    »Wir sind uns heute zum erstenmal
begegnet«, log ich. »Zum erstenmal! Und

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