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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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er
ablenkend. »Für wen? Und warum?«
    »Für mich. Ohne besonderen Grund.«
    »Du singst wie eine Nachtigall?«
    »Wie sollte ich denn sonst?«
    »Aber du bist ein Mensch.«
    Irgend etwas Beliebiges konnte ich
ihm nicht entgegnen, sein ganzer Sinn stand nach Aufruhr, ihm mußte alles
dienen. Ich erinnerte mich genau an alles,
was er in der Moschee gesagt hatte, und hätte am liebsten ein Gespräch darüber
begonnen. Für mich war seine Begeisterung verführerischer und sein Mut schöner
als alle seine Worte. Ich hätte ihn gern gefragt, ob Freiheit nur durch Gewalt
errungen werden könne. Ob das Böse mit Bösem bekämpft werden müsse. Und wer
dieses andere Böse ausrotten würde. Und wie man es vergessen solle.
    Dafür indes hätte er mich gehaßt und
verachtet.
    Ich würde bei der Poesie bleiben.
Aber wie sollte ich beginnen?
    Auch hier war ich allein, auch hier
schuldig, auch hier zerstörte ich die Schlachtordnung, den gefestigten Bau.
    In dem Bemühen, ihm näherzukommen
und zugleich Abstand zu halten, sagte ich, daß wir Menschen uns angepannt und
unterdrückt fühlten, wenn wir auch keine Aufrührer seien. Es genüge, daß wir
denken. Der Mensch habe nicht nur das Bedürfnis zu denken, sondern auch zu
sprechen, dies sogar mehr. So entlaste er sich, befreie sich von der
Anspannung. Das Wort sei ein Aderlaß, eine Erleichterung des Schmerzes, ein
Schein der Freiheit. Statt es zu ersticken, sollte die Obrigkeit es pflegen und
anregen, sie sollte Feste des Redens einführen, oder noch besser, des Fluchens
als Gesang, als Gebet, als Reinigung. So hielten es gewisse afrikanische
Stämme, darin seien sie viel klüger als wir, vielleicht auch noch in manchem
anderen. Es müßte Preise und Orden für Beschimpfungen geben. Und für die
Poesie, denn das sei dasselbe. Und man müsse es so einrichten, daß möglichst
viele Menschen teilnahmen und zuhörten. Danach würden sie ihre unvermeidliche
Bürde leichter tragen.
    »Ist sie denn wirklich
unvermeidlich?«
    Ich hätte das Bild noch ausmalen
mögen, meine Vorstellung von diesem seltsamen Konzil des Fluchens, Brüllens,
Höhnens, zur Begleitung von Lauten, Gitarren und Trommeln, im Gehen, im
Sitzen, Getöse, das zum Himmel schrie und die Erde dröhnen machte, aber Ramiz
unterbrach mich in meiner Lust am Übertreiben, und das in einem Augenblick, da
ich mit ihm nicht einer Meinung sein konnte, dabei hielt ich nicht viel von
dem, was ich selbst sagte.
    »Ist diese Bürde wirklich
unvermeidlich?«
    »Ich fürchte ja.«
    »Nein. Die Menschen werden diese
Bürde abwerfen, sie werden sich nicht damit betrügen, daß sie sie zu
erleichtern suchen. Und dieser Tag ist um so näher, je schwerer die Bürde ist
und je weniger die Worte des Trostes werden.«
    »Wer wird es tun?«
    »Das Volk.«
    »Das Volk ist eine namenlose Zahl,
ohne Kraft. Es hat kein einigendes Ziel, nichts ist ihm gemeinsam außer dem unmittelbaren
Nutzen und der Angst. Wir sind zersplittert. Kein Dorf wird dem anderen in der
Gefahr helfen. Jeder hofft, daß sie an ihm vorübergeht.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das Volk ist nur dann ohne Kraft,
wenn es kein gemeinsames Ziel und keinen dauerhaften Nutzen für alle sieht.
Wenn es zur Einsicht kommt, vermag es alles. Aber zuerst müssen die
Herrschenden verjagt werden.«
    »Nehmen wir an, daß das möglich ist.
Aber jemand muß sich vor das Volk stellen, ihm die Angst nehmen, es auf Opfer
vorbereiten, damit er es zum Sieg führen kann.«
    »Ist das denn unmöglich?«
    »In diesem Fall würden die Anführer
zu Ansehen und Verdiensten gelangen. Und was würde geschehen? Sie würden
beginnen, von diesen Verdiensten zu leben, sie würden von Tag zu Tag größer
werden, ihr Ansehen würde sich in Macht verwandeln. So würden wir anstelle der
alten Obrigkeit eine neue bekommen, die vielleicht noch schlimmer wäre. Das
lehrt die Geschichte der Macht seit Menschengedenken. Alles wiederholt sich,
von der reinen Idee zur Gewalt, von Edelmut zur Tyrannei, immer und für alle
Zeiten.«
    Er lachte ein wenig vorwurfsvoll,
wie mir schien.
    Er sei mit meinem kleinmütigen
Zukunftsbild nicht einverstanden, er glaube an die Fähigkeit des Volkes, sein
Leben so einzurichten, wie es ihm am besten entspreche, und den Zauberkreis zu
zerstören, in dem aus Helden Tyrannen wurden. Ohne Helden ginge es nicht, sie
seien der Schneeball, der die Lawine hinter sich herzöge. Man dürfe nur nicht
zulassen,. daß ihr Ruhm beschmutzt würde. Die alten Römer hätten ihre Helden in die

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