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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Verbannung
geschickt und so unsterblich gemacht. Wenn das zu grausam sei, könnten wir
unsere Helden an die Arbeit zurückschicken, von der sie gekommen seien.
    Er teilte auch nicht meine Ansicht,
daß das Wort Trost und Erleichterung spenden müsse, das
betrachtete er als das endgültige Eingeständnis der Niederlage. Das Wort müsse Aufruhr und Aufforderung zum Kampf
sein, solange es das Böse auf der Welt gab. Anderenfalls sei es Lüge, Opium,
und die Menschen würden rosige Träume träumen wie der unglückliche Seid Mehmed
und den Dingen ihren Lauf lassen.
    Woher hatte er diesen festen
Glauben, dem jede Wahrscheinlichkeit widersprach? So viele hatten gehofft und waren enttäuscht worden. Und die
nach ihnen kamen, glaubten wieder. Die Hoffnung des Menschen war stärker als
die Erfahrung, fremder Mißerfolg konnte sie nicht erschüttern.
    Oder war er mit allem einverstanden,
was ihm widerfahren konnte, sogar mit dem Tod? Ich wußte nicht, wie man mit dem Tod einverstanden sein konnte,
aber vielleicht nahm er ihn in seiner Hingerissenheit als einen Teil der Tat.
Oder er dachte nicht an ihn. Er konnte auch das, denn er konnte mit sich alles
anfangen.
    Dachte er an irgend etwas anderes?
Hatte er eine Familie, nach der er sich manchmal sehnte, einen Freund, mit dem er über alltägliche Dinge sprach,
ein Mädchen, dem er Liebesworte zuflüsterte? Oder war er ein ewiges Feuer, das
brannte und verbrannte und andere Wärme vergaß?
    Ich fragte ihn danach, um das
Gespräch von Dingen abzulenken, die ich achtete, aber nicht verstand.
    Er faßte mich unter dem Arm und führte
mich in das leere Nebenzimmer. Er hatte keine Angst, von der Kanzel der Moschee laut zu verkünden, woran
andere nicht einmal zu denken wagten, aber über sich selbst konnte er nur
flüstern, ohne einen Dritten, falls der schlafende Seid Mehmed zufällig erwacht
wäre.
    Er habe Freunde, sagte er leise,
nicht nur einen, er freue sich, wenn er mit ihnen zusammen sei, er sei traurig,
wenn er sie verlassen müsse, er vergäße keinen einzigen, mit ihnen sei er
sicherer. Auch wir beide könnten Freunde werden, nur sähe er es gern, daß ich
mich änderte, daß ich ein Mensch würde, was ich zwar sei, was zu zeigen ich
aber keinen Mut hätte. Er könne mich auch so liebgewinnen, in meiner Güte und
Hilflosigkeit, aber dann könne er mich nicht achten. Und das sei nur eine halbe
Freundschaft.
    Er habe auch ein Mädchen, das er
sehr liebe, und es bekümmere ihn, daß er sich auf längere Zeit von ihr trennen
müsse, so daß ihre Liebe ein ständiges Warten sei. Doch wenn es anders sein
solle, müsse er sich selbst verleugnen. Und wenn er alles aufgäbe, in seine
Stadt zurückkehrte, um Lehrer zu sein, um im Garten Rosen oder Kartoffeln
anzubauen, dann wäre er keiner wahren Liebe mehr fähig und würde vielleicht dem
Mädchen die Schuld daran geben, daß er sich von seinem Traum losgesagt habe. Er
habe ihr all das erklärt und ihr die Wahl überlassen. Sie habe sich für das
Warten entschieden. Es sei schwer und dennoch schön.
    Wenn er abends aus der Moschee
heimkehre, stelle er sich vor, daß sie in seinem ärmlichen Zimmer bei ihm sei,
erzähle ihr, was er den Leuten gesagt und wie begierig sie ihm gelauscht
hätten (ich aber, obwohl mich diese jugendliche Naivität rührte, hatte den
häßlichen Gedanken, daß dieses ferne Mädchen, des Wartens müde, vielleicht des
Nachts mit einem näheren und alltäglicheren Jungen über nähere und
alltäglichere Dinge flüsterte, als es der aussichtslose Kampf um das Glück der
Armen war).
    Er habe auch eine Familie, eine
verwitwete Mutter, eine verheiratete Schwester, einen Bruder, der Schmied sei
und bei der Mutter lebe. Der Vater sei in der Schlacht bei Dubica gefallen, und
er habe sich das Studium an der Al-Azhar ermöglicht, indem er reiche und dumme
Schüler unterrichtete. Da habe er viel Bitteres geschluckt, Demütigungen
hingenommen, die Umtriebe der Reichen und das Leid der Armen beobachtet und
gesehen, wie schlecht die Welt eingerichtet sei.
    Er habe das zwar auch früher gewußt,
denn dazu brauche man nicht viel Verstand, aber sein künftiger Lebensweg sei
ihm in einem Augenblick plötzlich klargeworden, wie von einem Blitzstrahl
erleuchtet. Ein Derwisch habe ihm die Augen geöffnet. Man brauche keine
Regierenden, keinen Herrscher und keinen Staat, all das sei Gewalt. Es genügten Menschen, die über alles
miteinander verhandelten, gewöhnliche Menschen, die ihre Arbeit taten, die
nicht über andere

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