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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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stehen. Außerdem gab es mehr Not als Schuld, und Menschen,
die die größte Schuld auf sich geladen hatten, litten die wenigste Not, also
war es schade, daß wir nicht noch schuldiger waren. Aber die Welt wurde weder
vom Verstand noch von weise ausgesäten Ursachen regiert, deren Folgen die
Menschen ernteten, sondern von närrischsten Zufälligkeiten, und wir hatten
unsere bösen Zufälle bereits verbraucht, uns blieben nur die guten.
    Und während meiner Rede zur
Verteidigung unseres Rechts auf Glück, die ich hielt, um nicht denken zu
müssen, schlief sie ein, tief atmend, das Gesicht an meiner Brust, durch den Schlaf
von der Angst befreit.
    Nur ich und der Jüngling oben in der
Festung blieben wach.

Ich will nicht an Ramiz denken
    Ich erwachte mit dem Gedanken an ihn, den Fremden,
und es war, als sei er der einzige unter den Menschen, den ich kannte. Er wurde
durch sein Leiden erhöht, als büßte er für all unsere Missetaten. Nein, er
würde keine einzige sühnen, alles würde bleiben, wie es war, sein Opfer war
sinnlos. Was konnte ein Mensch, was konnten hundert ausrichten? Ein Hahn,
Millionen Schläfer, warum hatte man ihn eingesperrt? Sie hätten ihn ruhig rufen
lassen können, niemand wäre davon aufgewacht.
    Hatte er gewußt, was ihn erwartete,
hatte er leiden wollen?
    Hoffte er, durch sein Leiden die
Menschen aufzurütteln?
    Ich wollte nicht an ihn denken, es nützte nichts.
    Ich ging in die Bäckerei, um Brot zu
holen. Die Bäkkergesellen unterhielten sich fröhlich, scherzten und lachten.
    »Worüber lacht ihr? Habt ihr eine
gute Nachricht gehabt?«
    »Nein,
deshalb lachen wir auch.«
    »Was gibt
es Neues?«
    »Alles ist
teurer geworden, ist das etwas Neues?«
    »Ihr seid in der Nacht auf, und nachts
geschieht allerlei.«
    »Die Betrunkenen schwanken, die Gauner lauern, die Wächter
dösen, die Verliebten verstecken sich. Für uns geschieht
nichts.«
    »Habt ihr
denn nichts erfahren?«
    »Alles, was in der Nacht geschieht,
erfährt man am Tag. Wir werden es erfahren.«
    Ich wollte
nicht an Ramiz denken.
    Tijana war
schon wach, als ich wiederkam.
    »Bist du
etwa so früh aufgestanden?«
    »Es ist nicht zu früh, du
Langschläferin. Die Bäcker haben schon den zweiten Ofen geleert.«
    »Bist du
krank?«
    »Lieber Gott, sehe ich krank aus?
Darf ich nicht aufstehen, wenn ich Lust dazu habe?«
    »Du hast unruhig geschlafen.«
    Ich setzte mich zu ihr aufs Bett.
Ihr schwarzes Haar floß über das Kissen, ihre Augen waren
feucht vom Schlaf, die Lippen geschürzt wie bei einem Kind.
    »Wie schön du bist, wenn du
aufwachst.«
    »Sonst nicht? Nur wenn ich
aufwache?«
    »Sonst nicht. Nur wenn du aufwachst.
Ich will dich ärgern, merkst du das nicht?«
    »Das wird dir nicht gelingen.«
    »Dann sage ich die Wahrheit, nun
gerade. Du bist immer schön, und ich weiß es immer, aber
ich mag es nicht sagen.
    Jetzt muß ich, ich spüre es mit dem
ganzen Körper.«
    Ich wollte nicht an Ramiz denken.
    »Und was spürst du noch?«
    »Ich möchte deinen Duft einatmen.
Ich möchte meine Augen mit deinem Bild erfüllen,
damit nichts anderes darin Platz hat.«
    Ich wollte nicht an Ramiz denken.
    »Und jetzt sag mir, was geschehen
ist.«
    »Darf ich dir nicht sagen, wie sehr
ich dich liebe?«
    »Du wehrst dich gegen etwas. Du
denkst an anderes.«
    »Ich denke daran, wie glücklich ich
bin.«
    »Warum gerade heute morgen?«
    »Ich denke oft daran.«
    »Glücklich, trotz alldem. Was ist
es?«
    Sie drängte mich immer in die Ecke,
ich konnte ihr nichts verbergen. Es war sinnlos, es zu
versuchen.
    Ich erzählte, daß Ramiz in der
Festung eingesperrt war, daß Avdaga mir das am Vorabend
gesagt hätte.
    »Warum hast du es verschwiegen?«
    »Um dich nicht zu beunruhigen.«
    »Ich habe sofort gesehen, daß du mir
etwas verbirgst.«
    »Woran?«
    »Wenn dir schwer ums Herz ist, bist
du zärtlicher als sonst. Du bist wie ein Kind, das sich
verstellen möchte.«
    »Ich kenne ihn nicht einmal gut,
aber er tut mir leid. Niemand wird einen Finger rühren.«
    »Wer könnte etwas erreichen?«
    »Niemand. Aber er hofft vielleicht,
daß die Menschen sich empören, daß sie seine Freilassung
fordern.«
    »Das glaube ich nicht, und er weiß
auch, daß sie es nicht tun werden.«
    »Wie wäre es, wenn ich zu Zafranija
ginge und ein Wort für ihn einlegte?«
    »Warum du?
Er wird sofort fragen: warum gerade du?«
    »Wir sind keine Freunde, aber wir
könnten es sein. Er hat niemanden.«
    »Du wirst
ihm nicht helfen und dir nur schaden.«
    Sie sagte es

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