Die Festung
weil er uns noch
nicht eingeordnet hatte, bei jenen, die er für schuldig hielt, geriet er sicher
nicht in Verlegenheit. Vielleicht aber machte ihn die Anwesenheit einer Frau
unsicher. Der alte Hagestolz, der mit Frauen, diesen geheimnisvollen Wesen, nur
ein paar Worte gewechselt hatte, sah jetzt, was weibliche Beredsamkeit war,
noch dazu aus so schönem Mund.
Avdaga sah sie verblüfft an und
wandte sich wie hilfesuchend zu mir um. Von mir aber kam keine Hilfe, ich
schaute zufrieden zu, wie er auf heißer Flamme briet, und wünschte ihm noch
mehr Pein.
Und sie, erzürnt über die
Beleidigung, angestachelt durch die eigenen Worte, wartete nur darauf, daß er
irgend etwas entgegnete, um ihre Litanei fortzusetzen und sich an ihm für alle
Bitterkeit der letzten Monate schadlos zu halten.
»Ich habe gedacht ...«
Ich war nicht der Meinung, daß er
eines Gedankens fähig war, sie hatte alles in ihm durcheinandergebracht.
Vielleicht bereute er, bei uns eingedrungen zu sein (noch wußte ich nicht,
warum), vielleicht vermochte er nicht einmal das vor lauter Erstaunen, daß sie keine Angst
vor ihm hatte wie die anderen, daß sie ihre Worte nicht wählte wie die anderen, daß sie nicht an sein blutiges
Handwerk dachte wie die anderen. Und ohne diese Angst, die
wie eine Fahne über ihm wehte, wie eine Wolke um ihn schwebte, ohne dieses Schwert, das den Mut in den Menschen
abtötete, war er entwaffnet und hilflos. Gott mochte ihm gnädig sein, aber
jetzt standen ihm die beiden einzigen Gedanken, über die er verfügte, quer im
Kopf wie zwei Gräten im Hals.
Aus Angst, daß er sich in
Grausamkeit retten könnte, um nicht gedemütigt dazustehen, beschloß ich, ihm zu
Hilfe zu eilen. Es war höchste Zeit dafür, vielleicht hätte ich mich schon
früher einmischen müssen.
»Bist du nicht etwas ungerecht,
Frau«, sagte ich versöhnlich, in der Hoffnung, sie würde begreifen. »Avdaga
hat es nicht böse gemeint.«
»Ich weiß nicht, wie er es gemeint
hat, ich weiß, was er gesagt hat. Wenn er uns nicht helfen will, warum kränkt
er uns dann?«
»Er kränkt uns doch nicht, das
darfst du nicht sagen.«
Jetzt fand auch Avdaga die Sprache wieder:
»Ich hatte etwas ganz anderes im
Sinn. Ich meinte: ihr seid nicht gerade reich.«
»Sag nur, daß wir arme Schlucker
sind. Ist das eine Sünde?«
»Nein. Aber ich habe ihm eine Arbeit
angeboten. Er hat abgelehnt.«
»Ich will den Mann nicht zugrunde
richten, Avdaga.«
»Er hat sich schon zugrunde gerichtet.«
»Was willst
du dann von mir?«
»Nichts. Ich kann nur nicht
verstehen, daß man eine Arbeit ablehnt, wenn man so arm ist.«
Das war es, was ihm keine Ruhe ließ.
Aber wie sollte ich es ihm erklären? Ich konnte nicht unanständig sein, ich war
keine Bestie, der Mann hatte mir nichts getan ... Was immer ich gesagt hätte,
es wäre gewesen, als spräche ich über ihn. Mir schien auch, daß er seinetwegen
gefragt hatte. Er tötete Menschen in der Überzeugung, etwas Redliches zu tun.
Ich wußte nicht, ob ich im Krieg jemanden getötet hatte, aber wenn ich die Gefallenen nach einer
Schlacht sah, überkam mich das Grauen bei dem Gedanken, daß der eine oder
andere von meiner Kugel getroffen sein konnte.
Hätte ich ihm das gesagt, hätte er
geglaubt, daß ich log oder ein Schwächling war. Schon aus dem Grund, weil er
ziemlich viele, sehr viele rücksichtslose Menschen kannte.
Er konnte sich einfach nicht erklären,
warum ich sein Angebot abgelehnt hatte. Ich hätte Arbeit bekommen, man
verlangte nicht viel von mir, und niemand hätte erfahren, daß ich etwas
Häßliches tat. Nur ich hätte es gewußt, und er glaubte nicht, daß mich das
stören könnte.
Hätte ich vdm Gewissen gesprochen,
er hätte es nicht verstanden. Sein Gewissen war das des Staates, und er wußte
nicht, daß man auch ein eigenes haben konnte.
»Siehst du, Avdaga, das Einfachste
ist oft am schwierigsten zu erklären ...« – ich suchte nach einem Loch in seinem
Panzer –, »würdest du zum Beispiel einen Menschen töten, weil du seinen Pelz
oder sein Pferd oder seinen Grund und Boden haben willst?«
»Nein, Gott bewahre.«
»Und warum glaubst du, daß ich es
tun würde?«
Er schwieg ein Weilchen und schüttelte
dann den großen kantigen Kopf.
»Das ist etwas anderes.«
»Oder meinst du, daß es keine Sünde
ist, Mehmed Seid aus dem Dienst zu jagen?«
»Mehmed Seid taugt zu nichts mehr.«
»Du meinst sicher, daß es auch keine
Sünde ist, Ramiz zu vernichten?«
»Darüber haben andere
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